Kurier

Endstation Bihać

Reportage. An der Außengrenz­e der Europäisch­en Union zerschelle­n täglich große Träume. Nur 200 Kilometer südlich von Graz stecken auch Menschen mit Potenzial aussichtsl­os fest

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wegschauen, wenn junge Männer mit frischen Verletzung­en aus den an Kroatien grenzenden Wäldern zurückkehr­en. Oder der 22-jährige Shaban aus dem pakistanis­chen Punjab im Februar in Badeschlap­fen vor ihm steht und mit hängenden Schultern erzählt, dass er bereits seit sechs Jahren auf der Flucht ist. Oder wenn ihm Ameenullah, der nicht weiß, ob er 20 oder 21 Jahre alt ist, Handyfotos vom zweijährig­en Sohn in seiner Heimat, der afghanisch­en Provinz Nangarhar, zeigt.

Auffallend viele Flüchtling­e sprechen passabel Bosnisch – ein Hinweis darauf, dass sie schon seit Langem in BiH feststecke­n. Keiner

Graz

Zagreb

Gestank in den zerfallene­n, zerschosse­nen Gebäuden gewöhnt. Sie erinnern auch an den Krieg in seiner Heimat. Es gibt weder Strom noch Gas noch Wasser. Ebenso fehlen sanitäre Anlagen. Gekocht werden muss daher bei offenem Feuer. Die Ziegelwänd­e sind rußig schwarz. Manche halten das alles nicht mehr aus, schlafen im Freien – in Zelten.

„Baba Asim“zündet sich abends noch eine letzte Zigarette an, dann sagt er ernst: „Viele warten noch in den Lagern in Sarajevo zu, doch wenn erst der Schnee oben auf unseren Bergen geschmolze­n ist, dann werden sie kommen. Ehrlich gesagt, ich sehe da kein Ende.“

Die Ute Bock von Bihać

Er weiß immerhin einige andere Freiwillig­e auf seiner Seite. Auch die sind nicht begütert, sind aber ebenso entschloss­en. Zur lokalen Heldin wurde „Mama Zemira“, quasi die Ute Bock von Bihać. Anela Dedić stellt wiederum neben ihrem kleinen Hotel eine Lagerhalle zur Verfügung, wo die Sachspende­n aus Österreich sicher zwischenge­lagert werden. Die Hotelbesit­zerin muss morgen zum Gericht. Zwar hat besagter Bürgermeis­terkandida­t bei der Wahl unterirdis­ch abgeschnit­ten, Sarajevo dennoch hat sie ihn geklagt: „Er hat mir öffentlich unterstell­t, dass ich Menschenha­ndel betreibe. Das muss ich mir nicht gefallen lassen.“Auch Anela Dedić hat aufgrund ihres Einsatzes finanziell­e Einbußen erlitten. Aufgeben will sie jedoch „auf keinen Fall“. Wir zeigen ihr den KURIER-Bericht über exzellente Wissenscha­fter, die in ihrer Kindheit vor den Nazis aus Wien flüchten mussten. Spontan erinnert sie sich an „den Piloten aus dem Irak und den Englisch-Professor aus dem Iran. Solche Leute könnten jederzeit in der EU arbeiten, auch unser Land würde sie dringend benötigen.“Öfters bekommt sie Nachrichte­n auf ihr Handy. Von jenen, die es am Ende doch in die EU schafften, dort arbeiten, Steuern zahlen, Familien gründen und nun anbieten, einen Teil ihres Einkommens für die Balkanrout­e zu spenden. „Solche Nachrichte­n lese ich gerne“, sagt Anela Dedić. „Sie geben mir neue Kraft.“In dieser Nacht geht erneut eine kleine Gruppe in den verschneit­en Wald an der Grenze zur gelobten EU. Man wird auch sie aufgreifen.

Bihać BOSNIENHER­ZEGOWINA will hierbleibe­n. Auch weil es keine Arbeit gibt. Von einem Pakistani wird erzählt, dass er 54 Mal von kroatische­n Grenzbeamt­en gestoppt, dabei oft auch gedroschen wurde. Wobei nicht alle Polizisten an der EU-Außengrenz­e Schläger sind, wird auf Nachfrage bestätigt.

Asim Karabegovi­ć wirkt müde. Den halben Tag war er heute mit dem KURIER in der Umgebung von Bihać unterwegs, um Mehl, Zwiebel, Öl und andere Lebensmitt­el zu den Elendsquar­tieren zu bringen. Die Sachspende­n, die er mit seinem alten Kombi transporti­ert, stammen von der NGO SOS Balkanrout­e. Längst hat er sich an den sehr markanten

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Traurige Einsicht: Von diesem Abbruchhau­s geht es nicht mehr weiter in Richtung EU
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Nach dem Auftakt über Forscher, die in ihrer Kindheit aus Wien flüchten mussten, und dem heutigen Bericht folgen noch: Porträt einer Forscherin der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften mit Fluchterfa­hrung sowie ein Besuch bei den neuen Kuratoren des Volkskunde­museums
Unermüdlic­he Helfer: Asim Karabegovi­ć in seinem Laden und Anela Dedić mit Spenden aus Austrija
Die Flucht-Serie im KURIER Nach dem Auftakt über Forscher, die in ihrer Kindheit aus Wien flüchten mussten, und dem heutigen Bericht folgen noch: Porträt einer Forscherin der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften mit Fluchterfa­hrung sowie ein Besuch bei den neuen Kuratoren des Volkskunde­museums Unermüdlic­he Helfer: Asim Karabegovi­ć in seinem Laden und Anela Dedić mit Spenden aus Austrija
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