Mord im Nachtzug
– Arthur Conan Doyle
Die Champagnerkorken knallen, es wird getanzt, die Stimmung ist ausgelassen, der Anlass freudig: Linnet und Simon Doyle sind auf Hochzeitsreise und haben Verwandte und Freunde auf eine Kreuzfahrt auf dem Nil eingeladen.
Als Linnet eines Nachts an Bord ermordet wird, nimmt der berühmte belgische Detektiv Hercule Poirot die Ermittlungen auf und findet heraus, dass so mancher an Bord vom Tod der Frau profitiert ...
Mit der Neuverfilmung von „Tod auf dem Nil“ist ein Klassiker von Agatha Christie ins Kino zurückgekehrt. Doch nicht nur auf der Leinwand ist damit wieder ein „Whodunit“Krimi – eine Verballhornung von „Who has done it?“, also „Wer war’s?“– in Mode. Auch in der Spieleszene erfreuen sich Detektivrätsel nach klassischem Vorbild steigender Beliebtheit. Das zeigen die Neuerscheinungen aus dem Vorjahr – und vielversprechende Ankündigungen für 2022.
Freilich geht nicht jedes Detektivspiel als Whodunit durch, und schon gar nicht als guter. Das Subgenre folgt klaren Prinzipien: Am Anfang steht ein Verbrechen, idealerweise ein Mord, der von einem (meist genialen) Ermittler aufgeklärt wird. Sherlock Holmes von Arthur Conan Doyle sowie Miss Marple und Hercule Poirot von Agatha Christie wirkten stilbildend.
Die Szenerie ist begrenzt – ein Schiff, ein eingeschneites Anwesen oder ein Zug, der seit dem Mord keinen Halt einlegte. Rasch ist klar, dass einer der Anwesenden – die alle auf
Wegen mit dem Opfer und zueinander in Beziehung stehen – der Täter sein muss.
Weil das Miträtseln so viel Spaß macht, eignet sich das Genre so hervorragend für Gesellschaftsspiele. Wobei die Herausforderung da größer ist als vor dem Fernseher: „In Filmen gibt es immer eine Figur, die den Fall löst – hier liegt es nur an den Spielern“, sagen die spanischen Spieleentwickler Josep Izquierdo und Marti Lucas im KURIER-Gespräch.
Das Autorenduo hat im Vorjahr mit (auf Deutsch erschienen bei Abacusspiele) eines der vielleicht herausforderndsten neuen Whodunits vorgelegt. Es ist Teil der Sherlock-Serie, die es 2019 auf die Shortlist zum „Spiel des Jahres“geschafft hat. Seither erscheinen jährlich neue Fälle, für 2022 sind weitere angekündigt, die Serie wurde um ein Mittelalter-Spin-Off und eine Wild-West-Edition erweitert.
Bei den Kartendecks handelt es sich um Deduktionsrätsel. Die Spieler bilden auf Basis von Erkenntnissen, die sie im Spielverlauf erlangen, Theorien über Tathergang, Motiv und Täter. Das Besondere: Obwohl in der Gruppe gespielt wird, teilen nicht alle den gleichen Wissensstand. Jeder verfügt über Handkarten, die vielleicht (?) relevante Indizien enthalten, zu denen vorerst aber nur er selbst Zugang hat.
Das verändert die Spieldynamik: „Bei uns gibt es keinen Anführer-Effekt, da niemand alle Infos hat“, sagen die Autoren. „So ist es noch wichtiger, miteinander zu reden und auf die Theorien der anderen zu hören. Oft entscheidet ein Deverschlungenen tail, ob eine Hypothese logisch ist.“Und nicht selten ist – wie schon Doyle wusste – die unwahrscheinlichste Lösung die einzig mögliche.
Interaktion im Zentrum
Im spanisch-bulgarischen Verlag „Enigma Studio“– der die Lizenz an Sherlock hält und mit Instacrime ein weiteres, fotobasiertes Whodunit veröffentlicht hat – erklärt man sich den Hype um Detektivspiele ganz einfach: „Sie heben den sozialen Aspekt stärker hervor als andere Spiele. Die soziale Interaktion kann, wenn die Regeln simpel sind, sogar an die erste Stelle treten.“
Ähnlich sieht man das beim deutschen Kosmos-Verlag, der im Krimi-Bereich einige Spiele mit Kult-Potenzial vorgelegt hat. „Unser Motto ist: Ihr seid die Lösung“, sagt Kosmos-Spieleredakteur Arnd Fischer. „Das ist nicht nur ein Marketing-Spruch. Es stimmt tatsächlich.“Die Spiele liefern die Rätsel – die Lösung jedoch entsteht in den Köpfen der Spieler.
Innerhalb der Exit-Serie
sind drei Krimi-Fälle erschienen, „in denen man sich nicht nur von Rätsel zu Rätsel arbeitet, sondern auf einer zweiten Ebene parallel Infos über Verdächtige erhält und den Täter entlarven muss“, sagt Fischer. Schon die Titel versprechen echte Whodunit-Atmosphäre: Der Tote im Orient-Express, Der Raub auf dem Mississippi und – der jüngste – Die Entführung in Fortune City.
Erst im Herbst erschien bei Kosmos mit Redcliff Bay Mysteries ein kooperatives Detektivspiel. Für Mitte 2022 kündigt der Verlag eine neue, einsteigerfreundliche Serie an: Die
Spieler begleiten Detektivin Claire Harper bei ihren Ermittlungen. „Es startet, ganz im Stil von Agatha Christie, in einer Villa in den schottischen Highlands“, verrät Fischer. Nach einem Todesfall werden Angehörige und Hausangestellte befragt, um dem Familiengeheimnis auf die Spur zu kommen. Drei Fälle mit der Detektivin sind geplant – Fortsetzung nicht ausgeschlossen.
Übrigens: Der Liebe zum Whodunit ist, wie auch im Kino, nicht neu – sondern erlebt nur ein Revival. Der Klassiker schlechthin, Cluedo, hat einige Jahre auf dem Buckel. Er erschien erstmals 1948 und hat seither einige Facelifts erhalten – etwa mit einer Sherlockund einer „Downton Abbey“Edition sowie (weniger naheliegend) einer „Games of Thrones“-Version.
Ein zeitloser Klassiker für alle, die mit Kindern spielen, ist das 2008 preisgekrönte Wer war’s? (Ravensburger). Als Informanten fungieren Tiere, ermordet wurde keiner.
Schauspielerischer Eifer
Neuer sind hingegen „Dinner & Crime“-Spiele, die mehrere Verlage im Sortiment haben. Die Spieler schlüpfen in vorgegebene Rollen und versuchen den Täter in ihrer Mitte zu enttarnen. Je mehr schauspielerischen Eifer man mitbringt, desto besser: „Man kann sich verkleiden und die Charaktere zum Leben erwecken. Es geht um den Spaß am Zwischenmenschlichen“, so Fischer. Die Kosmos-Serie Murder Mystery Party umfasst fünf Fälle, der aktuellste – Kuchen für eine Leiche – erschien Ende 2021.
Wer nicht selbst zum Darsteller werden will, der wird – Pandemie sei Dank! – online fündig, etwa auf online-krimispiel.de. In Live-Sessions führen Schauspieler durch Kriminalfälle (Empfehlung: das Familiendrama Hegenbachs Erbe). Highlight: Man kann die Schauspieler selbst befragen.
Spätestens da darf sich jeder tatsächlich ein bisschen wie Hercule Poirot fühlen.