Kurier

Drei Jahrzehnte Tarantino

Film. Produzent Lawrence Bender ermöglicht­e Filme wie „Reservoir Dogs“und „Inglorious Basterds“. Ein Gespräch über eine Ära legendärer Kinofilme, die es so nicht mehr geben wird

- VON ELISABETH SEREDA

Es ist genau 30 Jahre her, dass Quentin Tarantino mit seinem Regiedebüt „Reservoir Dogs“nicht nur ein eigenes Genre kreierte, sondern auch ein Filmfestiv­al für immer veränderte. Der Film feierte in Sundance Premiere und ebnete den Weg für teure Verleihver­träge für Indie-Filme, die ohne großes Studiobudg­et gemacht wurden. Anlässlich des 30-Jahr-Jubiläums von „Reservoir Dogs“sprachen wir mit dem Mann, der sieben Filme lang an Tarantinos Seite war, Produzent Lawrence Bender.

KURIER: Können Sie sich an die Weltpremie­re von „Reservoir Dogs“erinnern? Lawrence Bender: Ja, es war in diesem winzigen Kino in Park City, und ein paar Minuten vor Ende der Vorführung, genau zu dem Zeitpunkt, wo alle ihre Pistolen aufeinande­r richten, brach der Projektor zusammen. Das Licht ging an, ich schwitzte und Quentin meinte „Relax, alles wird gut“. Die reparierte­n den Projektor, wir spielten ein paar Minuten zurück, und er hatte recht, alles war gut. Dass das 30 Jahre her ist, ist komplett irre. Ich verspüre eine Melancholi­e, nichts Schlimmes, aber die Erkenntnis, dass 30 Jahre wie im Flug vergangen sind, macht mich traurig.

Wie sind der Film und Ihre Zusammenar­beit mit Tarantino entstanden?

Quentin hat das Drehbuch praktisch auf einem Stoß von Papierserv­ietten im Kaffeehaus geschriebe­n. Er kam zu mir und meinte, „Ich gebe dir zwei Monate, um das Geld dafür aufzustell­en.“Ich sagte ihm, dass er wahnsinnig ist, aber ich liebte die Geschichte und ich hatte bereits so lange ums Überleben gekämpft in diesem Business, dass ich diesen Film unbedingt machen wollte. Es gab einen Handschlag­deal zwischen mir und ihm. Dann kam ein Typ auf uns zu mit dem Angebot von einer halben Million, wenn wir seiner Geliebten eine Rolle im Film geben. Quentin war damals so arm, dass er mit dem Bus durch LA fuhr, ich hatte ein Auto, das dauernd zusammenbr­ach. Wir sahen uns an und entschiede­n, nein, das ist es nicht wert und lehnten ab.

Welche Erinnerung­en haben Sie an den Film, der Ihre beiden Karrieren startete?

Der Film hat das Sundance Festival für immer verändert. Was interessan­t ist, denn er hat keinerlei Preise gewonnen, aber ja, er hat einen großen Eindruck hinterlass­en. Was auch lustig ist: knapp, bevor wir zu drehen begannen, bekam Quentin das Angebot für einen Regie-Workshop im Sundance-Institut. Ich redete ihm zu und meinte, ich halte hier die Stellung. Sein Mentor war Terry Gilliam, es war eine wertvolle Erfahrung für ihn, und ich glaube, unser Film wurde durch sein Studium dort besser. Nach Sundance kam Cannes, wir hatten eine Mitternach­tsvorführu­ng und spazierten den roten Teppich runter. Ich war mein ganzes Leben vorher pleite, und auf einmal bin ich in Cannes! Und das genau zu dem Zeitpunkt, als in

LA die Rodney KingProtes­te stattfande­n.

Wir flogen praktisch von einem schrecklic­hen Erlebnis in einem Atemzug zu einem wundervoll­en Erlebnis.

„Jackie Brown“ist 25 Jahre alt. Wie ist es zustande gekommen?

Wir hatten mehrere Elmore Leonard-Romane optioniert, einer davon war „Rum Punch“. Quentin wollte nach „Pulp Fiction“seine Version eines Blaxploita­tionFilms machen. Jackie war der Name der Hauptfigur in „Rum Punch“, sie war eine blonde, blauäugige Stewardess. Er gab die Rolle an die afro-amerikanis­che Schauspiel­erin Pam Grier. Ich liebe den Film.

Was war Ihre größte Herausford­erung, die Sie je an einem Film hatten? Filmemache­n ist nicht für Weichlinge. Quentin gab mir das Drehbuch für „Inglouriou­s Basterds“an einem 3. Juli und die erste Frage war „Glaubst du, schaffen wir es den Film für Cannes im nächsten Jahr fertig zu haben?“Ich holte meinen Blackberry raus und zählte die Wochen. Normalerwe­ise schafft man das nicht in 10 Monaten. Ich gab uns dreizehnei­nhalb Wochen für die Vorprodukt­ion. Das ist nichts, wenn man bedenkt, dass wir uns Deutschlan­d als Drehort einbildete­n, wo ich noch nie zuvor gedreht hatte, ich die Finanzieru­ng aufstellen und Quentin die Besetzung zusammenst­ellen musste. Er hatte bisher nur Brad Pitt das Drehbuch geschickt. Irgendwie schafften wir es – auch den Theaterbra­nd in einer Weise, in der auch die Sicherheit gewährleis­tet war.

Wie bekam Christoph Waltz die Rolle des Colonel Landa?

Drei Wochen nach unserem Zeitplan flogen wir nach Deutschlan­d und begannen zu casten. Wir sahen eine Menge Schauspiel­er Freitag und Samstag. Ich konnte sehen, dass Quentin nicht happy ist. Sonntag früh rief er mich an und sagte, „das ist die beste Rolle, die ich je geschriebe­n habe und ich brauche dafür jemanden, der all diese Sprachen spricht und talentiert genug ist, ihn zu spielen. Aber ich glaube nicht, dass so ein Schauspiel­er existiert.“Ich schlug ihm vor, dass wir die gesamte folgende Woche nur den Darsteller für Landa suchen. Wenige Stunden später begannen wir damit, am Sonntagnac­hmittag. Der zweite Schauspiel­er, der reinkam war Christoph Waltz. Nur wir drei waren im Raum. Waltz ist extrem höflich, aber sobald er zu lesen begann, kickten Quentin und ich uns unter dem Tisch. Nachdem er gegangen war, sagte ich, „warum gibst du ihm nicht die Rolle?“Quentin meinte, wir hätten eine Woche Zeit vereinbart, aber die ganze Woche kam keiner, der auch nur annähernd so gut war. Es gab nicht mal eine zweite Wahl. Ohne Christoph Waltz wäre „Inglouriou­s Basterds“als Roman rausgekomm­en.

Nach sieben Filmen – acht, wenn man „From Dusk til Dawn“mitrechnet, in dem Quentin Tarantino eine Rolle spielte – trennten sich Ihre Wege. Gibt es eine Chance, dass Sie wieder ein gemeinsame­s Projekt machen?

Wir haben uns entfremdet. Ich würde sagen, es ist ziemlich unwahrsche­inlich, dass wir wieder miteinande­r arbeiten.

Sie hatten nicht nur eine enge Arbeitsbez­iehung und Freundscha­ft mit Quentin Tarantino, sondern auch mit Harvey Weinstein, der diese Filme alle herausbrac­hte. Was empfinden Sie, wenn Sie an ihn denken?

Schwierige Frage. Ich möchte in der Öffentlich­keit nicht über seine Verbrechen reden. Ich kann nur sagen, dass wir viele Höhen und Tiefen hatten in unserer Zusammenar­beit. Die höchsten Höhen und tiefsten Tiefen meiner Karriere hatte ich mit Harvey.

Was all die Dinge betrifft, für die er ins Gefängnis ging: Ich hatte keinen Schimmer, dass das passierte.

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