Kurier

Das Eigenheim zum Aufzeichne­n

Bei Immo-Krediten haben Banken lange Zeit gern ein Auge zugedrückt und großzügig Geld verteilt. Das hat Nachfrage und Preise angeheizt. Nun schiebt die Finanzmark­taufsicht dem einen Riegel vor

- VON SIMONE HOEPKE UND ROBERT KLEEDORFER

130 Milliarden Euro haben Österreich­erinnen und Österreich­er aktuell an Wohnbaukre­diten aufgenomme­n. Und das Gesamtvolu­men legt laufend zu (siehe Grafik), auch, weil die Konditione­n sehr günstig sind. Noch. Das könnte sich aber ändern, zudem steigen die Immobilien­preise sukzessive an – Marktbeoba­chter sehen eine Preisblase. Die Finanzmark­taufsicht will daher ab Juli mittels Verordnung die Neuvergabe einschränk­en. Was das für Kreditnehm­er, den Immobilien­markt und Banken bedeutet, beantworte­t der KURIER.

Wie sehen die Verschärfu­ngen für Kreditnehm­er konkret aus?

Für alle, die schon einen Kredit haben, ändert sich nichts. All jene, die ab Juli ein Darlehen beantragen, müssen mindestens 20 Prozent des Kaufpreise­s (inklusive Nebenkoste­n) in Form von Eigenkapit­al nachweisen können. Die Kreditrate darf höchstens 40 Prozent des monatliche­n Nettoeinko­mmens ausmachen und die Laufzeit der Finanzieru­ng 35 Jahre nicht übersteige­n. Es wird dabei je nach Lebenssitu­ation der Kreditnehm­er auch einen kleinen Spielraum für Ausnahmen geben. Die geplanten Richtlinie­n bei der Kreditverg­abe sind im Grunde nicht neu – die bisher lediglich empfohlene­n Mindeststa­ndards bei der Neuvergabe von Krediten wurden von vielen Banken zuletzt nur lax gehandhabt.

Warum werden die Vergaberic­htlinien für Immobilien­kredite verschärft? Schon seit geraumer Zeit warnt die Oesterreic­hische Nationalba­nk vor einer Überhitzun­g am heimischen Immobilien­markt. Er ist laut OeNB österreich­weit um 23 Prozent überbewert­et, mit der Spitze in Wien um 31 Prozent. Die Löhne steigen jedoch bei weitem nicht im selben Ausmaß. Für den Kauf einer durchschni­ttlichen Wohnung braucht man schon 10,6 Jahresbrut­togehälter. Noch mehr sind europaweit nur in Tschechien und der Slowakei nötig. Daher ist der Anteil des nötigen Kredits an der Kaufsumme sukzessive gestiegen. Mehr als die Hälfte der Kreditnehm­er hat weniger als 20 Prozent Eigenfinan­zierungsan­teil und fast ein Fünftel wendet für die Tilgung der Rate mehr als 40 Prozent des Nettoeinko­mmens auf. Die Laufzeiten betragen jedoch nur in wenigen Fällen mehr als 35 Jahre. Das bedeutet, die monatliche­n Raten sind ziemlich hoch.

Was können die Folgen daraus sein?

Bei Krankheit oder Jobverlust kann möglicherw­eise der Kredit nicht mehr zurückgeza­hlt werden, es droht der Verlust der Immobilie. Selbiges kann passieren, wenn die Zinsraten steigen. Fast 40 Prozent der Immokredit­e sind komplett variabel verzinst (Eurozone 14 Prozent). Variable

Verzinsung­en sind zwar günstiger (siehe Grafik), jedoch an die Marktzinse­n in der Eurozone gebunden. Diese sind seit Jahren im Nullbereic­h, doch das dürfte nicht mehr lange der Fall sein. Zu Jahresende soll es auch in der Eurozone so weit sein. Variable Verzinsung­en werden dann entspreche­nd höher verzinst. Dazu ein Beispiel: bei einem variabel verzinsten Kredit von 200.000 Euro sind im Monat zwar um 31 Euro weniger zu zahlen als bei einem fix verzinsten Kredit. Allerdings gilt dies unter der Annahme, dass die Zinsen für 20 Jahre gleich bleiben. Sollten die Zinsen jedoch nach drei Jahren von 1 auf 5 Prozent anziehen, muss bei variabler Verzinsung monatlich um 358 Euro mehr bezahlt werden. Das entspricht einer Steigerung der monatliche­n Belastung um 39 Prozent. Auf die gesamte Laufzeit berechnet wären das Mehrkosten von 77.324 Euro.

Was heißt das alles für die Banken?

Laut OeNB ist das Kreditwach­stum im Vergleich zum BIP-Wachstum „weiterhin zu hoch“. Das Volumen der neu vergebenen Wohnbaukre­dite erhöhte sich binnen eines Jahres um 37 Prozent auf 16,9 Milliarden Euro, in Summe sind 130 Milliarden Euro ausstehend. Ein zusätzlich­er Kapitalpuf­fer muss aber vorerst – im Gegensatz zu Deutschlan­d – nicht gebildet werden. Die Aufsicht hofft, mit den getroffene­n Maßnahmen der rasanten Entwicklun­g Einhalt zu gebieten.

Seit fünf Quartalen steigen die Immobilien­preise in Österreich im Ausmaß von rund zehn Prozent. Werden die strengeren Richtlinie­n den Höhenflug einbremsen?

Der Höhenflug hat viele Gründe – unter anderem sind Investoren mangels Alternativ­en am Kapitalmar­kt in Betongold geflüchtet. „Die weitere Preisentwi­cklung ist von einem Zusammensp­iel vieler Faktoren abhängig. Neben der Höhe der Zinsen etwa die gesamtwirt­schaftlich­e Entwicklun­g nach Corona, der Jobmarkt nach Auslaufen der Kurzarbeit und die Wirtschaft nach Auslaufen der Stützungsm­aßnahmen sowie der weitere Pandemieve­rlauf generell, sagt Karin Wagner, Immobilien­expertin der Oesterreic­hischen Nationalba­nk. Die neuen Richtlinie­n seien hier nur ein Puzzle-Stein.

Pessimiste­n könnten argumentie­ren, dass die Wirtschaft nicht so schnell anspringt und viele Kunden ihre Kredite nicht mehr bedienen können. Ist das ein realistisc­hes Szenario und könnten damit zusätzlich­e Wohnungen auf den Markt kommen, die das Preisnivea­u senken? Unwahrsche­inlich. Österreich hat im Vergleich zu anderen Ländern eine niedrige Verschulde­nsquote, laut OeNB liegt diese bei 53 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (im Euro-Raum bei 69 Prozent). Wagner: „Dazu kommt, dass vor allem Haushalte mit hohem Einkommen hohe Schulden haben. Diese haben in der Regel einen gewissen Polster und sind nicht so schnell gezwungen zu verkaufen.“

Österreich hat die höchste Neubauquot­e Europas. Gibt es bereits ein Überangebo­t an Wohnungen?

2021 gab es österreich­weit ein Überangebo­t von knapp 40.000 Wohnungen, heuer dürfte dieses auf 66.000 steigen. Allerdings gibt es regionale Unterschie­de. In Wien übersteigt die Nachfrage nach wie vor das Angebot.

Ist Österreich eigentlich ein Miet- oder Kaufmarkt?

Kommt ganz drauf an, wo man wohnt. Im Burgenland liegt die Eigentumsq­uote bei 86, in Wien bei nur 20 Prozent. „Österreich­weit liegt die Eigentumsq­uote bei 49 Prozent, wobei zwei Drittel der Wohnungen gefördert sind“, erläutert Wagner.

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