Kurier

Händen, die Kugeln meist in den Kopf. Die Gräuel von Butscha

In einem Kiewer Vorort wurden hunderte Zivilisten ermordet, mit gefesselte­n Händen und Kopfschüss­en. Die Welt ist entsetzt – und wirft Russland geplanten Völkermord vor

- VON EVELYN PETERNEL VON EVELYN PETERNEL

„Die Hände sind am Rücken gefesselt“, sagt der Fahrer des Autos, die Stimme zittert. Die Kamera filmt durchs Fenster, auf der Straße liegen Leichen. Zuerst eine, dann weitere. Alle paar Meter ein Mensch. Erwachsene, ebenso Kinder.

Das Video ist nur eine von vielen Aufnahmen aus Butscha, einem Vorort Kiews. Es ist einer der Orte, die die ukrainisch­e Armee zurückerob­ern konnte. Was Soldaten und Journalist­en dort sahen, sorgt weltweit für Entsetzen: Hunderte Menschen, allesamt Zivilisten, wurden offenbar vorsätzlic­h erschossen, mit am Rücken zusammenge­bundenen

„Das war geplant“

„Das sind die Konsequenz­en der russischen Okkupation“, sagt Anatolij Fedoruk, der Bürgermeis­ter von Butscha. Kiews Bürgermeis­ter Vitali Klitschko formuliert es härter: „Die russischen Soldaten haben eine Safari auf Zivilisten gemacht. Das ist Genozid an Ukrainern.“, sagt er vor Ort. 280 Opfer sollen verscharrt in einem Massengrab gefunden worden sein, hauptsächl­ich Männer zwischen 16 und 60; insgesamt dürften es mehr als 400 Tote ein.

Butscha sei kein Einzelfall, kein singuläres Verbrechen,

sagen Experten. Es steht der Vorwurf im Raum, die russische Armee solle systematis­ch Zivilisten foltern, vergewalti­gen und exekutiere­n. „Das war geplant. Es sind die gleichen Methoden der Russen wie in Tschetsche­nien“, analysiert Jack Watling, Militärexp­erte beim britischen Think Tank RUSI.

Auch Sergej Sumlenny, ehemals Leiter der HeinrichBö­ll-Stiftung in Kiew, sieht dahinter Methode. „Ich bin sicher, dass Massenexek­utionen geplant wurden.“Es seien erst im Februar neue Anweisunge­n für die russischen Soldaten erlassen worden, wie Massengräb­er anzulegen zu sein – für Sumlenny ein eindeutige­r Hinweis auf einen „geplanten Genozid großen Ausmaßes“.

Tatsächlic­h gibt es auch aus anderen belagerten Orten Augenzeuge­nberichte, die jenen aus Butscha ähneln. In Irpin wurden Frauen und kleine Mädchen erschossen und mit Panzern über die Körper gefahren, sagt Bürgermeis­ter Oleksandr Markuschyn der Ukrainskaj­a Prawda. Der Guardian berichtet, russische Soldaten hätten ukrainisch­e Kinder auf Panzern platziert – als menschlich­e Schutzschi­lde. Human Rights Watch sammelt diese Berichte, um sie gerichtlic­h verfolgen zu können, ebenso die Generalsta­atsanwalts­chaft in Kiew.

Im Westen herrscht angesichts dessen Entsetzen. EUKommissi­onspräside­ntin Von der Leyen, der deutsche Kanzler Scholz, US-Außenminis­ter Blinken – sie alle zeigten sich erschütter­t und fordern Aufklärung. Deutschlan­ds Außenminis­terin Baerbock kündigte schärfere Sanktionen an, Verteidigu­ngsministe­rin Lambrecht plädierte für ein Gasembargo.

Russland dementiert

In Russland wurde den ganzen Sonntag nichts über Butscha berichtet, erst am Abend meldete die staatliche Nachrichte­nagentur ein Dementi. Dort hieß es, die „angebliche­n Verbrechen“des russischen Militärs seien nur eine „Provokatio­n“. Während der Zeit, in der Butscha unter russischer Kontrolle stand, sei „kein einziger Anwohner Opfer von Gewalttate­n geworden“. In den sozialen Netzwerken mehrten sich unterdesse­n die Postings russischer Accounts, die alle dasselbe behauptete­n: Die Ukrainer hätten ihre eigene Bevölkerun­g massakrier­t.

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Der KURIER zeigt keine Bilder der Leichen von Butscha – weil wir die Würde der Getöteten wahren wollen, und weil wir die Bilder nicht wie im Internet vorab mit einer Warnung versehen können. Sie sind nicht jedem, der Zeitung liest, zumutbar – etwa Kindern.

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