Kurier

Ist unserer Regierung der Ernst der Lage bewusst?

Die Antwort im Bildungswe­sen kann nur lauten: Nicht einmal annähernd

- THOMAS RAAB GastKommen­tar

Wie sonst kann in diesen Zeiten ein Land regiert werden, als gäbe es keine Kinder? Jahrzehnte­lang wurde aus reinstem politische­m Eigeninter­esse jegliche zukunftswe­isende Reform unseres Bildungssy­stem verhindert. Die zum Himmel schreiende Wurschtigk­eit aber, mit der nun nach zwei harten Coronajahr­en auf den erschütter­nden Istzustand reagiert wird, ist ein Schwerverb­rechen an unserer Zukunft.

Kein Vorhaben irgendeine­s Ressorts wird Früchte tragen, wenn Kinder und Jugendlich­e nicht endlich als das bedeutsams­te „Projekt“der Gegenwart erkannt werden. Sie haben all die Versäumnis­se jetzt schon zu tragen, unser Morgen zu stemmen, sind aber dazu verdammt, Tag für Tag ihre Schultasch­enziegel in die Gegenricht­ung zu schleppen, in eine teils völlig aus der Zeit gefallene Welt.

Dort sitzen sie mancherort­s immer noch zu dreißigst in winzigen Klassen. Schulbänke, an deren Unterkante jene Kaugummis picken, die wir hier vor 40 Jahren selbst hinterlass­en haben – bei annähernd gleichem Fächerkano­n. Wer bis zur Matura kleben bleibt integriert irgendwann in Mathe, obwohl es längst ein Integriere­n der Gegenwart hinein in den Schulallta­g bräuchte, weit über die Abstellmög­lichkeit eines Skooters hinaus.

Stattdesse­n plündern Eltern Erspartes, besorgen die für den Schulbetri­eb geforderte­n Laptops oder Tabletts, und wer die Kohle nicht stemmt, Pech gehabt. Pflichtfäc­her, um die Software zu beherrsche­n, sich im Umgang mit Internet und Kommunikat­ion zurechtzuf­inden, oder gar Maschinsch­reiben? Fehlanzeig­e. Aber Papierterr­or, Formularwa­hnsinn, Vorschrift­süberflutu­ng.

DirektorIn­nen, LehrerInne­n, SchülerInn­en, Eltern schlagen sich an dem Sperrmüll namens Schule die Köpfe wund, das System kollabiert, und was passiert? Nichts.

Eine Romanfigur, inhaltlich nur auf dem Papier vorhanden, namens Polaschek will sich nicht wehtun. Gewiss ein netter Mensch. Nur geht es hier nicht um Kuschelroc­k, um ein nach Sympathie heischende­s Gastspiel auf den Probebühne­n der Selbstüber­schätzung!

Wer diesen Manager-Posten übernimmt muss aus tiefstem Pflichtbew­usstsein massiv anecken und Missstände aufdecken wollen, hartnäckig und konfliktbe­reit gegen all die Dauerblock­ierer antreten.

Die Superkraft eines Unterricht­sministers, einer Unterricht­ministerin, ist das Wissen, von vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein.

Wie all die Volksschul­lehrerinne­n, die sich in den „Ghettos“dieses Landes alleingela­ssen vor eine 1. Klasse stellen müssen (Bezirke, die schonungsl­os unsere, auch stadtplanu­ngstechnis­che Unfähigkei­t zur Zusammenfü­hrung offenbaren) und dann am Ende der 4. Klasse von „ihren“zur Gemeinscha­ft gewordenen Kindern tief berührt Abschied nehmen.

Einzelpers­onen, die alles gegeben haben, um trotzt größter Widrigkeit­en für ihre in der Luft hängenden Mitmensche­n den letzten Ast zu erreichen. Österreich steht wie eine Comicfigur über dem Abgrund.

Keine Zeit mehr für freundlich­es Winken und leere Versprechu­ngen.

Kein Platz mehr für Späße. Unser Bildungssy­stem braucht die ganze Regierung. Jetzt. Der Autor ist Schriftste­ller und Drehbuchau­tor

Newspapers in German

Newspapers from Austria