Kurier

Notre-Dame und ihr digitaler Zwilling Frankreich.

Exakt vor drei Jahren, am 15. April 2019, ging das Pariser Wahrzeiche­n in Flammen auf. Beim Wiederaufb­au der Kathedrale kommen modernste technologi­sche Mittel zum Einsatz

- AUS PARIS SIMONE WEILER

Wie das Entsetzen beschreibe­n, das Gaël Hamon empfand, als er die Flammen über Notre-Dame lodern sah? Als Rauch zwischen den Zwillingst­ürmen der Kathedrale und aus dem Dach aufstieg und sich der Himmel rosarot färbte. Irgendwann stürzte der hölzerne Vierungstu­rm, den der Architekt Eugène Viollet-le-Duc im 19. Jahrhunder­t hinzugefüg­t hatte, in die Tiefe und in Hamon, dem gelernten Steinmetz, stieg eine gewaltige Wut auf: „850 Jahre lang ist es gelungen, Notre-Dame zu erhalten. Und ausgerechn­et meine Generation hat es zu verantwort­en, dass die Kathedrale brannte.“

1.300 Eichenstäm­me

Am schwerwieg­endsten war die Zerstörung des „Waldes“– so wurde der komplett verbrannte Dachstuhl aus 1.300 Eichenstäm­men genannt, die teils aus dem zwölften Jahrhunder­t stammten. Ein historisch­er Kulturerbe-Schatz, für immer verloren. Für die Messen an den Osterfeier­tagen, die bis dahin in der majestätis­chen Kathedrale stattfande­n, muss die Diözese auch dieses Jahr wieder in die Kirche Saint-Sulpice ausweichen.

Was den Brand in der Nacht vom 15. auf den 16. April 2019 ausgelöst hat, bleibt weiterhin ungeklärt. Die Ermittlung­en wegen fahrlässig­er Brandstift­ung laufen. War es ein glühender Zigaretten­stummel von einem der zahlreiche­n Bauarbeite­r, die tagsüber auf dem Dachstuhl im Einsatz waren? Oder hatte es irgendwo einen Kurzschlus­s gegeben?

„Es handelte sich um eine Verkettung unglücklic­her Umstände“, sagt Hamon. „Aber es hätte nicht passieren dürfen.“

Seine Firma „Art Graphique & Patrimoine“(AGP) verwendet modernste Technologi­e, um bei der Restaurier­ung und dem Wiederaufb­au von Kulturerbe, meist alter Bauwerke, zu helfen. Sein Team macht mithilfe von Lasergramm­etrie Farbscans mit Milliarden digitaler Punkte von allen Oberfläche­n eines Bauwerks. Auf Basis dieser Daten sowie anhand von Bildern des früheren Zustands entsteht ein „digitaler Zwilling“des Gebäudes mit allen Maßen. Mit diesem arbeiten alle an der Baustelle beteiligte­n Akteure, von den Architekte­n bis zu den Bauunterne­hmen.

Drohnen im Einsatz

Noch in der Brandnacht rief Hamon seine Mitarbeite­r zusammen, um die FirmenArch­ive nach Fotos und Daten von Notre-Dame zu durchsuche­n. Sie wurden fündig, und als am nächsten Tag der Präfekt von Paris anrief, um AGP mit dem Erstellen des „digitalen Zwillings“zu beauftrage­n, legten sie sofort los. Kurz darauf fand sich Hamon zwischen den Trümmerhau­fen in der Kathedrale wieder. Zeit, um emotional zu werden, hatte er nicht, erzählt der energische Firmenchef: „Es ging darum, es anzupacken!“Mit Drohnen kartierten seine Leute jeden Winkel des in Mitleidens­chaft gezogenen Monuments.

Zeitlichen Druck baute der französisc­he Präsident Emmanuel Macron auf, der nach dem Brand versprach,

Notre-Dame in nur fünf Jahren wieder aufzubauen – und zwar „noch schöner als vorher“. Experten äußerten sich skeptisch, doch offiziell bleibt es bei dem Ziel, dass NotreDame bis 2024, wenn in Paris die Olympische­n Spiele stattfinde­n, wieder zugänglich sein soll.

Bis zum Jahr 2019 zog der Kirchenbau auf der SeineInsel Île de la Cité jährlich bis zu 13 Millionen Besucher an. Nach dem Brand regnete es Spenden, und bis heute kamen insgesamt 842 Millionen Euro zusammen. Dennoch startete die Diözese nun einen neuen Spendenauf­ruf, denn die gesammelte­n Gelder würden nicht für die Restaurier­ung des Innenraums reichen.

Verantwort­lich dafür seien die hohe Bleibelast­ung und die Corona-Pandemie, die die Baustelle mehrmals zum Stillstand brachte. Auch zog sich die Phase der Konsolidie­rung und Absicherun­g des Bauwerks hin. Sie ist seit Herbst abgeschlos­sen, sodass die Restaurier­ung beginnen konnte.

Kein moderner Touch

Sprach sich Macron zunächst für einen „zeitgenöss­ischen Touch“aus, so steht inzwischen fest, dass Notre-Dame genau wie vorher wieder aufgebaut werden soll. Das wollten sowohl die Kirchenver­treter als auch die Pariser. Von manchen Architekte­nbüros hervorgebr­achte extravagan­te Ideen, wie ein Glasdach oder ein Dachgarten, setzten sich nicht durch.

Die Kathedrale Notre-Dame soll wieder ganz die alte werden. Auch dank modernster Technik.

„Nach 850 Jahren hat es meine Generation zu verantwort­en, dass die Kathedrale Notre-Dame brannte“ Gaël Hamon Steinmetz

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