Wie Corpus Christi zum Millionengrab wurde
Voest zieht Reißleine. Die börsenotierte voestalpine stößt 80 Prozent ihrer Produktion in Texas an den europäischen Stahlgiganten ArcelorMittal ab. Die übrigen 20 Prozent verbleiben bei den Oberösterreichern
Es war eine gut fünfjährige Geschichte, die der voestalpine mehr Kummer als Freude gebracht hat. Höhere Errichtungskosten als geplant, Naturkatastrophen, hohe Abschreibungen. Das im Herbst 2016 in Betrieb genommene Roheisenwerk des börsenotierten Stahlkonzerns in Corpus Christi, Texas, stand unter keinem guten Stern. Jetzt haben die Linzer einen Abnehmer für 80 Prozent der Anteile an dem Werk gefunden: den europäischen Stahlgigant ArcelorMittal. Der Verkauf der Mehrheitsanteile bringe für die voestalpine „einen Liquiditätszufluss in Höhe von 610 Millionen Euro“, wie es Voest-Chef Herbert Eibensteiner gestern formulierte. Bereits am Sonntag war bekannt geworden, dass die voestalpine Verhandlungen zu dem Deal führt.
„Wichtiges Produkt“
Die Voest behält „langfristig“20 Prozent der Anteile und hat sich eine jährliche Menge von 420.000 Tonnen an sogenanntem HBI, das in Texas produziert wird, gesichert. „Langfristig“bedeute eine Partnerschaft über 10 Jahre, präzisierte Eibensteiner die Laufzeit des Vertrags gestern Vormittag. „Wir glauben, dass HBI für die Dekarbonisierung ein weiter wichtiges Produkt für uns sein wird. Deswegen bleiben wir beteiligt.“HBI sei ein wichtiger Rohstoff für die CO2-reduzierte Stahlproduktion. Warum sich die Voest für eine 20-prozentige Beteiligung entschieden hat und nicht etwa für eine Sperrminorität ab einem Anteil von 25 Prozent, wollte der voestalpine-Chef nicht beantworten.
Rund ist es im und um das Werk in Texas eigentlich nie gelaufen. Dabei war das Engagement ursprünglich ein bejubeltes: Die bis dahin größte Investition eines österreichischen Unternehmens in den USA war es mit ursprünglich 550 Millionen Euro, die die Voest in das neue Werk stecken wollte. Geworden sind es laut Angaben von Eibensteiner 870 Millionen Euro reine Projektkosten. Einige weitere jährliche Investitionen im zweistelligen Millionenbereich nicht eingerechnet. Neben Überschwemmungen des direkt am Golf von Mexiko gelegenen Werks war da auch Hurrikan „Harvey“, der 2017 in Texas gewütet und für einen kurzzeitigen
Produktionsstillstand gesorgt hat. Und teure Umweltauflagen: Eine Lagerhalle etwa musste wegen zu hoher Staubentwicklung doch überdacht werden. Das EBIT in Texas sei „im Durchschnitt“negativ gewesen, erklärte Eibensteiner, auch wenn man Jahre mit einem positiven EBIT, also Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, hatte. Jetzt könne die voestalpine ihre Nettofinanzverschuldung deutlich senken, als Buchgewinn blieben rund 280 Mio. Euro. Die Abschreibungen wegen des texanischen Werks lagen 2019 und 2020 bei rund 372 Mio. Euro. Das Closing des Deals wird in zwei bis drei Monaten sein.
Erwartet hatte man sich von dem Werk freilich anderes. Nicht nur bei den Kosten, auch bei der Einschätzung der Menge hatte man sich ordentlich verschätzt. Ende 2016 war die voestalpine noch von einem Eigenbedarf in Höhe von 800.000 Tonnen des in Texas produzierten HBI ausgegangen. Jetzt hat man sich langfristig eben 420.000 Tonnen gesichert. „Die Mengen, die wir damals eingeschätzt haben, waren zu hoch“, so Eibensteiner. In der Vergangenheit habe man „bis zu drei Viertel der Menge“am Spotmarkt verkaufen müssen, das sind bei einer Jahreskapazität von 2 Millionen Tonnen HBI also rund 1,5 Millionen Tonnen. Es habe auch fixe Abnehmer gegeben.
Die Voest hat „unabhängig von dieser Transaktion“, einen verbesserten Ausblick bekannt gegeben: Das EBITDA im Geschäftsjahr 2021/22 werde bei „etwas unter 2,3 Mrd. Euro“zu liegen kommen, davor war man von bis zu 2,2 Mrd. Euro ausgegangen. Der Kurs der voestalpine-Aktie legte am Freitag um 1,5 Prozent zu.