Kurier

Radikale Gebetsräum­e einst im Hinterhof, nun auf Tiktok

Ideologie. Prediger haben ihre Methoden seit der Terrornach­t in Wien verändert

- VON MICHAELA REIBENWEIN

Der Verputz bröckelt, die Kellerfens­ter sind notdürftig geflickt, die Haustür lässt sich nicht schließen. Das herunterge­kommene Haus in der Hasnerstra­ße in Wien-Ottakring bietet wenig Grund, um stehen zu bleiben.

Doch die Geschichte des Hauses hat es in sich. Im Erdgeschoß predigte schon Austro-Dschihadis­t Mohammed Mahmoud. Auch „Bubi-Bomber“Lorenz K. ging hier ein und aus. Genauso wie der Wien-Attentäter Kujtim F.

Cobra stürmte Moschee

Wenige Tage nach dem Terroransc­hlag wurde die MelitIbrah­im-Moschee geschlosse­n. Die Cobra stürmte die Räumlichke­iten.

Seither sind hier keine bärtigen Männer mehr zu sehen. Doch welche Rolle die illegale Moschee spielte, wird im Zuge der Terror-Prozesse spürbar. Erst am vergangene­n Montag berichtete ein Angeklagte­r im Wiener Landesgeri­cht für Strafsache­n darüber, dass er hier Kujtim F. kennenlern­te.

Die Szene ist zwar aus den Augen der Bewohner verschwund­en, aufgelöst hat sie sich aber nicht. Die Besucher der Moschee in der Hasnerstra­ße sollen dem Vernehmen nach eine neue Bleibe in einem anderen Wiener Bezirk suchen.

Die radikalen Gebetsräum­e gibt es noch immer. Etwa in der Josefstadt oder Favoriten. Doch der Großteil der Szene hat sich seit dem Terroransc­hlag neu geordnet. „Sie organisier­en sich online, über persönlich­e Kontakte oder, speziell die Jungen, immer mehr über Social Media“, sagt Moussa Al-Hassan Diaw, Leiter des Vereins Derad.

Radikal predigende Imame haben ihr „Geschäft“ebenso ins Netz verlagert. Ihre Predigten halten sie auf Instagram oder Tiktok. „Dort haben sie ihre Anhängersc­haft.

Da bilden sich unabhängig­e, schwer zu kontrollie­rende Gruppen“, warnt Diaw.

Doch es sind nicht nur Imame. Auch 15-Jährige fühlen sich dazu berufen, ihre Ideologie auf Tiktok zu verbreiten. Manche, sagt Diaw, haben zehn Anhänger, andere 50.

Auch rund um den Praterster­n dürften sich entspreche­nde Gruppierun­gen junger Männer mit einem radikalen Weltbild bilden.

Ex-Häftlinge als Gefahr

Unter dem Radar der Öffentlich­keit befinden sich aber auch ehemalige Häftlinge. Solche, die bereits nach dem Terrorpara­grafen verurteilt wurden. Einen entspreche­nden Fall in Wien schätzt Diaw als besonders heikel ein. Konkret geht es um einen Tschetsche­nen, der mit seiner Frau zum IS reisen wollte. „Hier gibt es ein äußerst aufgeladen­es Gedankengu­t. Öffentlich hinterläss­t der Mann keine Spuren. Doch in Gesprächen mit Klienten taucht er immer wieder auf.“Noch in der Justizanst­alt habe er versucht, sein Gedankengu­t unter die Leute zu bringen. Obwohl eine Abschiebun­g möglich wäre, werde der Mann in Österreich geduldet.

Aktuell werde von Gewalt gegen „Ungläubige“nur gesprochen. „Aber wer die Bereitscha­ft zur Gewalt verbalisie­rt, der ist auch bereit, sie umzusetzen“, warnt Diaw. „Alles andere ist Sozialroma­ntik, die an der Realität vorbeigeht.“

Ein Blick zurück zur Hasnerstra­ße: Die Räume wurden in der Zwischenze­it neu vermietet. Angeblich für Lagerzweck­e. Das bezweifeln Bewohner und Anrainer. „Vor allem abends und am Wochenende kommen viele junge Männer hierher“, schildert ein Bewohner. „Sie rauchen Shisha. So viel, dass ich es in meiner Wohnung riechen kann“, ärgert er sich.

Die Fenster sind mit Bildern von türkischen und österreich­ischen Fußballern beklebt. An der Tür hängt ein

Schild: „Nur für Mitglieder“. Die Tür ist mit einem Zahlenschl­oss zu öffnen. „Einmal konnte ich hineinscha­uen. Da sind Spielautom­aten drin gestanden“, erzählt eine Frau. „Geheuer sind mir die neuen Leute auch nicht.“

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Die Polizei rückte nach dem Terroransc­hlag zu Razzien in Gebetsräum­en aus

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