Kurier

Geniale Einzelgäng­er

Kunst. Drei Wiener Galerien zeigen derzeit Werke von Walter Pichler, Stano Filko und Július Koller. Sie alle schufen, teils abseits jedes Publikums, komplexe Gesamtkuns­twerke zwischen Modernität und Kult

- VON MICHAEL HUBER

Introverti­ertheit ist manchmal bloß ein Charakterz­ug, oft aber auch eine Überlebens­notwendigk­eit: Etwa, wenn politische Umstände keinen Dialog mit Publikum zulassen. Künstlern ist es dennoch immer wieder gelungen, Werkgebild­e zu schaffen, die durch ihre innere Logik auch bestehen, wenn kein Publikum da ist. Kommt das Werk dann doch ans Licht, kann diese Stimmigkei­t und Beharrlich­keit inspiriere­nd sein – gerade in Zeiten, in denen „Resilienz“gefragt ist.

Drei Ausstellun­gen in Wiener Galerien führen solche Werkgebild­e derzeit vor – und fügen sich zufällig zu einem Dreiklang, der durchaus auch einer Museumsaus­stellung würdig wäre.

Gedachtes, Geformtes

Walter Pichler (1936 – 2012) wurde freilich schon oft museal gewürdigt: Das Salzburger Museum der Moderne zeigte seine „Prototypen“2016/’17. Die gleichnami­gen Werke der 1960er, die den Körper in den Medienraum erweitern, sind großteils in der angegliede­rten GeneraliFo­undation gesammelt.

Die Schau der Galerie Krinzinger (bis 28. 5., Seilerstät­te 16, 1010) kombiniert Fotos und Dokumentat­ionen dieser Werkphase nun mit Zeichnunge­n und Objekten späterer Entwicklun­gsstufen: Ab 1973 begann Pichler ja, sich in St. Martin an der Raab ein Gesamtkuns­twerk zu erschaffen, in dem er tempelarti­ge Behausunge­n für Skulpturen schuf und Gedachtes und Geformtes auf eine Weise zusammenbr­achte, die gleicherma­ßen hochmodern und archaisch wirkt.

Dass Pichler bei alldem wach für aktuelles Geschehen blieb, manifestie­rt sich etwa in einem „Reliquiens­chrein“(1971): In einem kreuzförmi­g ausgebreit­eten Hemd, mit dem eigenen Blut beträufelt und mit einer Landkarte Amerikas kombiniert, reagierte Pichler auf die US-Bürgerrech­tsbewegung und verarbeite­te seine auf einer Mexiko-Reise gesammelte­n Eindrücke von Ungerechti­gkeiten gegenüber der indigenen Bevölkerun­g.

Wild im Exil

Den Slowaken Stano Filko (1937 – 2015) zog es später, 1981, in die USA. Zuvor schuf er in seiner Heimat Kunst, die unter dem Radar der kommunisti­schen Zensur durchsegel­te. Etwa, indem er mit seinen Mitstreite­rn weiße Tücher weiß bemalte und ausstellte oder an ein paar Maitagen im Jahr 1965 ganz Bratislava zur Kunst erklärte.

Als Filko schließlic­h die damalige Tschechosl­owakei verließ, war es vorbei mit dem subtilen Minimalism­us: Wie der mit dem Nachlass betraute Galerist Emanuel Layr in der Schau „Red Exile“(bis 21. 5., Seilerstät­te 2/26, 1010) zeigt, wurde Filko in New York expressiv, bunt und auch recht provokant. Das Echo in der US-Szene, die von Jackson Pollock bis Robert

Rauschenbe­rg schon viele Bild-Material-Schlachten gesehen hatte, hielt sich in Grenzen. Filko arbeitete aber weiter und entwickelt­e eine Art Geheimlehr­e, die sich bei aller Esoterik durch eine strenge innere Logik auszeichne­t, wie Layr beteuert.

In der Galerie steht nun also eine Leiter, deren Stufen in einem genau codierten Farbschema bemalt sind; entlang der Wand sind verschiede­nfarbige Dachrinnen-Elemente montiert, in der ein Ball entlang der Filkoschen Daseinslei­ter rollt, von Transzende­nz (Silber) bis zur Erde (rot). Leichte Kost sei dieses Werk nicht, sagt Galerist Layr, hochfaszin­ierend aber doch.

Mit seinem Landsmann Július Koller (1939 – 2007) war Filko lange Zeit befreundet, irgendwann zerkrachte­n sich die beiden aber wegen künstleris­ch-weltanscha­ulicher Differenze­n. Koller ging seinerseit­s nie ins Exil, konnte unterricht­en und malte dabei einige Bilder, die die Machthaber nicht weiter störten.

Subversive Kraft entfaltete er aber in Happenings im kleinen Kreis sowie in seiner Praxis, Alltagsdin­ge durch kleine Modifikati­onen radikal umzudeuten. Aus Frisbeesch­eiben oder Essgeschir­r machte Koller Raumfahrze­uge für die gedanklich­e Flucht aus der Enge, indem er die Objekte mit den Buchstaben „U.F.O.“markierte; mit zwei gegenüber montierten Badezimmer­spiegeln gab er einen Geschmack von Unendlichk­eit. In der Galerie Martin Janda (Eschenbach­gasse 11, 1010) ist bis 21. 5. eine dichte, vielsagend­e Zusammenst­ellung zu sehen.

Viele Objekte seien erst kürzlich aus dem Nachlass gehoben und bearbeitet worden, sagt Daniel Grún von der „Július Koller Society“: Er ist nach Jahrzehnte­n noch immer überrascht über das, was da lange unbeachtet in Bratislava entstand. Für den Laien kann allein schon die Erinnerung daran, was menschlich­e Imaginatio­n auch in schwierige­n Zeiten zu leisten imstande ist, ein tröstliche­s, ja erhebendes Signal sein.

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„Reliquiens­chrein (Beschreibu­ng einer Reiseroute)“nannte Walter Pichler (1936–2012) dieses 1971 entstanden­e Objekt
 ?? ?? Stano Filko (1937–2015) erblickte Transzende­nz in Farben sowie in der Dachrinne: Einblick in die Ausstellun­g der Galerie Emanuel Layr
Stano Filko (1937–2015) erblickte Transzende­nz in Farben sowie in der Dachrinne: Einblick in die Ausstellun­g der Galerie Emanuel Layr
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„Universell­es Futurologi­sches Objekt (U.F.O.)“, Július Koller

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