Kurier

„Ein Kulturkrie­g, der die Kirchen spaltet“

Die russisch-orthodoxe Kirche und radikale Rechte in westlichen Kirchen vernetzen sich gegen Demokratie und Aufklärung, sagt Soziologin Stoeckl

- VON MICHAEL HAMMERL

Dass mit der russisch-orthodoxen Kirche eine christlich­e Kirche im Ukraine-Konflikt Kriegsherr Wladimir Putin unterstütz­t, sorgt im Westen für Entsetzen. Doch auch in westlichen Kirchen gibt es radikale Strömungen, die sich mit den RussischOr­thodoxen global vernetzen. Wer zu diesen Netzwerken gehört und wie gefährlich sie sind, erklärt Religionss­oziologin Kristina Stoeckl von der Universitä­t Innsbruck im KURIER. Sie hat seit 2016 intensiv zur „globalen christlich­en Rechten“geforscht.

KURIER: Überrascht es Sie, dass die russisch-orthodoxe Kirche Putins Angriffskr­ieg gutheißt?

Kristina Stoeckl: Nein. Das Moskauer Patriarcha­t pflegt ein sehr enges Verhältnis zum Staat und zur Regierung von Wladimir Putin. Die orthodoxe Kirche unterstütz­t das Bestreben Putins, die Ukraine wieder unter die russische Einflusssp­häre zu bringen.

Wie kann eine christlich­e Kirche heute territoria­les Anspruchsd­enken haben?

Das Moskauer Patriarcha­t ist immer schon der Ansicht, dass die Ukraine ihr kanonische­s Territoriu­m ist, dass die Kirchen und Gläubigen in der Ukraine unter Moskaus Verwaltung und geistliche­r Führerscha­ft stehen sollten. In der Ukraine ist es 2018 zur Neugründun­g einer unabhängig­en orthodoxen Kirche gekommen. Das Moskauer Patriarcha­t hat diesen Schritt nicht akzeptiert und erachtet diese Kirche als abtrünnig und feindlich. Sie interpreti­ert das als Verlust ihres eigenen kanonische­n Territoriu­ms.

Welche Werte vertritt die russisch-orthodoxe Kirche?

Die Kirche macht sich für „traditione­lle Werte“stark. Das klingt nach alten Überliefer­ungen, dabei ist der Begriff in der aktuellen kirchliche­n Verwendung neu. In Russland wird er seit circa 20 Jahren sowohl in der Kirche als auch in der Politik verwendet und steht für Werte wie den starken Staat, traditione­lle Familienbi­lder und Geschlecht­errollen. Er meint auch die Ablehnung westlicher, liberaler Werte wie Nichtdiskr­iminierung aufgrund sexueller Orientieru­ng oder Herkunft. Auch Putin spricht davon, dass Russland für diese traditione­llen Werte steht. Somit sehen sich Russland und die russischor­thodoxe Kirche als Verteidige­r traditione­ller christlich­er Werte gegen einen säkularen, liberalen Westen.

Hat die russisch-orthodoxe Kirche mit dieser Haltung Verbündete im Westen?

Ja, diese militante Verteidigu­ng konservati­ver Werte kommt bei erzkatholi­schen Gruppen in Europa und Amerika sowie bei amerikanis­chen Evangelika­len gut an. Konservati­ve Aktivisten besprechen bei Treffen wie dem Weltfamili­enkongress 2017 in Budapest, wie Säkularism­us und liberale Werte eingedämmt werden können. Diese Kontakte gibt es seit Mitte der 90er. Sie haben sich seither intensivie­rt und dazu geführt, dass sich die russisch-orthodoxe Kirche nicht mehr nur als Gegnerin des Westens sieht, sondern als Mitstreite­rin in einem Konflikt, den es im Westen gibt. Ein Konflikt zwischen einer konservati­ven und einer liberal-progressiv­en gesellscha­ftlichen Einstellun­g – ein Kulturkrie­g.

Von welchen Parteien wird dieses Netzwerk in Europa unterstütz­t?

Allen voran von Viktor Orbáns Fidesz. Ungarn ist für dieses transnatio­nale interrelig­iöse Netzwerk – oder die globale christlich­e Rechte – ein wichtiger Knotenpunk­t. Auch die italienisc­he Lega unter Matteo Salvini, die AfD in Deutschlan­d und die FPÖ zu Zeiten von

Heinz-Christian Strache zählen dazu. Es ist bekannt, dass Johann Gudenus in Russland bei Tagungen gesprochen hat, wo es um die Verteidigu­ng des Christentu­ms in Europa ging.

Der Westen verteidigt sich gegen den Westen. Wie lässt sich das erklären?

Der Moskauer Patriarch Kyrill hat Anfang März in einer Predigt gesagt, die Invasion im Donbass sei notwendig geworden, denn der Donbass werde bedroht vom liberalen Westen und dessen Gay-Pride-Paraden. Das sei zwar extrem formuliert, doch im Kern habe Kyrill recht, schrieben rechte US-Kommentato­ren. Der Westen sei antichrist­lich geworden und müsse verteidigt werden. Viele konservati­ve Christen in den USA – darunter sind Evangelika­le, Katholiken und Orthodoxe – sehen sich in der

„Sie nehmen die Demokratie nicht als politische Ordnung wahr, in der ihr religiöses Leben gedeiht“

Kristina Stoeckl Religionss­oziologin

Minderheit, fühlen sich bedroht. In diesem Gefühl der Bedrohung suchen sie auch nach Allianzen außerhalb der USA. Und Putin war sicher einer dieser Unterstütz­er, auf den sie geblickt haben.

Wie gefährlich sind diese religiös-politische­n Allianzen?

Für sich genommen sind solche Gruppen sowohl in den USA als auch in Europa relativ klein, sie werden durch die transnatio­nale Vernetzung aber verstärkt und damit im politische­n Prozess sichtbarer. Das ist keine Besonderhe­it, auch linke progressiv­e Bewegungen machen das so. Die Gefahr, die ich sehe, betrifft den demokratis­chen Dialog. Letztendli­ch ist es so, dass sich Gesellscha­ften einigen müssen über geltende Gesetze. Das ist ein Aushandlun­gsprozess. Dafür gibt es die Politik, Parlamente und die Bevölkerun­g. Es wird schwierige­r, gegenseiti­ges Verständni­s aufrechtzu­erhalten, wenn bestimmte religiöse Gruppen nicht mehr der Meinung sind, dass Demokratie der beste Ort für sie ist.

Warum lehnen sie die Demokratie ab?

Die Demokratie wird nicht mehr als politische Ordnung wahrgenomm­en, in der ihre Vorstellun­g von religiösem Leben am besten gedeiht. Das birgt Konfliktst­off innerhalb der Kirchen, denn die christlich­en Kirchen in Europa haben sich seit dem Zweiten Weltkrieg ganz klar für die Demokratie ausgesproc­hen und zum Beispiel Religionsf­reiheit garantiert. Von diesem Konsens verabschie­det sich die radikale rechte Minderheit in allen christlich­en Kirchen, was zu einer Spaltung führt.

Seit wann findet diese Spaltung statt?

Seit Jahrzehnte­n. Die Vernetzung dieser globalen christlich­en Rechten passierte zuerst innerhalb der Kirchen. Der Vatikan ist in den 1990ern zu einem Geburtshel­fer für diese Vernetzung geworden, als er gesagt hat, das Christentu­m müsse sich gegen die wachsende Gender-Ideologie und den Feminismus wehren. Die Quelle für diese Entwicklun­gen liegt in den Kirchen, allerdings gibt es auch kirchliche Gegenstimm­en. Papst Franziskus steht der globalen christlich­en Rechten kritisch gegenüber, er setzt andere Prioritäte­n.

Im Westen wird das Christentu­m oft mit Aufklärung gleichgese­tzt. Ist das überhaupt gerechtfer­tigt?

Die Aufklärung wurde gegen die Kirchen geführt. Aber es stimmt, die Betonung eines aufgeklärt­en Christentu­ms nimmt vor allem das westliche Christentu­m für sich in Anspruch. Die östlichen orthodoxen Kirchen haben das nie getan. Im Gegenteil, sie haben sich immer sehr kritisch gezeigt gegenüber der Aufklärung als einer intellektu­ellen geistigen Strömung Europas. Antiwestli­ch zu sein heißt ja vor allem auch, gegen die Aufklärung zu sein.

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