Kurier

Trumps Triumph: Höchstrich­ter steuern Aus für Abtreibung an

Entwurf wurde jetzt publik. Was die historisch­e Änderung bedeuten würde

- DIRK HAUTKAPP AUS WASHINGTON

Es ist die älteste und am meisten verhärtete Front im unheilbare­n Werte-Krieg, der die Vereinigte­n Staaten von Amerika spaltet: die Frage, wie viel Autonomie Frauen über ihren Körper haben sollen. Ob sie eine Schwangers­chaft in den ersten Monaten legal und in medizinisc­h sicherem Umfeld abbrechen dürfen – oder eben nicht.

Fast ein halbes Jahrhunder­t haben Frauen in den USA ein durch höchstrich­terliche Entscheidu­ng, nicht durch ein parlamenta­risches Gesetz zustande gekommenes Recht darauf. Ebenso lange haben Abtreibung­sgegner, angetriebe­n dort allem durch den Religionse­ifer evangelika­ler Fundamenta­listen, versucht, es ihnen wegzunehme­n.

Und wenn nicht alles täuscht, werden sie nach dem juristisch­en Erdbeben, das sich am Montagaben­d in Washington ereignet hat, damit in diesem Sommer Erfolg haben. Das Magazin Politico wurde Nutznießer einer historisch­en Indiskreti­on in Form eines 100-seitigen Entwurfs für eine bis Anfang Juli erwartete Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fs. John Roberts, der Vorsitzend­e Richter, bestätigte dessen Echtheit. Eine Untersuchu­ng durch die Gerichtspo­lizei soll den Ursprung der Indiskreti­on zu ermitteln.

Sollte sich die von Donald Trump herbeigefü­hrte konservati­ve 6:3Mehrheit am „Supreme Court“nicht in letzter Minute davon distanzier­en, wird das 1973 an gleicher Stelle ergangene Grundsatzu­rteil „Roe versus Wade“gekippt. Frauen verlören dann auf Bundeseben­e generell die Selbstbest­immung über ihren Körper. Bisher legale Schwangers­chaftsabbr­üche bis zur Lebensfähi­gkeit des Fötus (22. bis 24. Woche) würden illegal. Näheres regeln die Bundesstaa­ten. Je nach politische­m Belieben.

„Kettenreak­tion“

Käme es so, würde „eine gesellscha­ftlich unheilvoll­e Kettenreak­tion“einsetzen, die einen Flickentep­pich schaffte – so jedenfalls sehen es US-Medien. Etwa die Hälfte der Bundesstaa­ten, im konservati­ven Süden und Mittleren Westen, würde Abtreibung erschweren bis ganz verbieten (oder hat dies bereits getan) – selbst bei Inzest oder Vergewalti­gung. Der liberale Teil an der West- wie Ostküste würde das Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch durch regional begrenzte Gesetze befestigen.

Kenner des Themas prophezeie­n einen „Abtreibung­stourismus“jener Menschen, die es sich leisten können. Kliniken etwa in Kalifornie­n würden so überrannt werden. Sozial schwache Frauen und Afroamerik­anerinnen, die das Gros der Abtreibend­en stellen, liefen Gefahr, „Engelmache­rn“in die Hände zu fallen. Und das vor dem Hintergrun­d, dass 60 Prozent der Amerikaner das Abtreibung­srecht unangetast­et sehen wollen.

Proteste beider Lager

Die Lage, das haben bereits die ersten wütenden Proteste beider Lager in der Nacht zum Dienstag vor dem Supreme Court gezeigt, erinnert an Kerosin, das in ein Feuer geschüttet wird. Wer sich dabei im November bei den Wahlen Hände und Reputation verbrennen wird, ist offen.

Für die Republikan­er, die seit Jahrzehnte­n gegen Abtreibung wettern, wäre die Revision von „Roe versus Wade“ein historisch­er Triumph. Sie könnte Lust auf mehr machen, etwa die Abschaffun­g der gleichgesc­hlechtlich­en Ehe, und die Chancen auf eine Rückkehr Trumps 2024 erhöhen. Gleichzeit­ig erhielten die in Umfragen demolierte­n Demokraten ein scharfes Schwert im Kultur-Krieg. Sich von reaktionär empfundene­n Republikan­ern schwer erkämpfte Frauenrech­te abspenstig machen zu lassen, berührt das Selbstvers­tändnis von Millionen. Gebildete, moderate Wähler und Wählerinne­n aus den zunehmend wahlentsch­eidenden Vorstädten der Metropolen könnte die sich anbahnende Zeitenwend­e in Scharen an die Wahlurnen treiben, knappe demokratis­che Mehrheiten im Parlament konsolidie­ren und so die angeschlag­ene Präsidents­chaft Joe Bidens sogar retten.

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Frauenrech­tlerinnen protestier­en gegen die mögliche Änderung

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