Kurier

Freiheit in Songs, Dämonen auf der Leinwand

Parov Stelar, der Erfinder von Electro-Swing, über seinen brisanten Odessa-Song, Stigmatisi­erung aufgrund der Herkunft, die vielfältig­en Stile seines Albums „Moonlight Love Affair“und seine Ausstellun­g

- VON BRIGITTE SCHOKARTH

„Es gibt so viele schöne Städte, aber vergesst doch nicht Odessa mit den Gauklern und den Spielern.“Das ist die Grundaussa­ge von „AKH Odessa“, einer lebensfroh­en Hommage an die ukrainisch­e Stadt. Parov Stelar hat sie für sein neues Album „Moonlight Love Affair“in ein Club-Gewand gekleidet.

Jetzt muss er sich dafür rechtferti­gen. Denn mit dem Angriffskr­ieg von Russland gegen die Ukraine hat der

Song von Georgij Makazarias Russian Gentleman Club eine Brisanz bekommen, die nie beabsichti­gt war.

Unglaublic­he Resonanz

„Vor ein paar Jahren hatte ich einen DJ-Auftritt in Odessa“, erzählt der als Marcus Füreder geborene Musiker im Interview mit dem KURIER. „Ich habe mit Georgij darüber gesprochen und er hat mir empfohlen, dort ‚AKH Odessa‘ zu spielen. Ich hab eine Club-Version davon gemacht, sie in Odessa gespielt, und die Resonanz war unglaublic­h. Drei Wochen später in Moskau war das genauso.“

Deshalb stand schon lange bevor der Krieg ausbrach fest: „AKH Odessa“kommt auf das Album.

„Aus der Ukraine kam extrem viel Kritik deswegen“, sagt Füreder. „Ich verstehe, natürlich, dass es ihnen dort irrsinnig sauer aufstößt, dass es im Titel featuring The Russian Gentlemen Club heißt. Ich fand den Song aber eigentlich völkerverb­indend, weil im Russian Gentleman Club auch Ukrainer spielen.“

Was Füreder nicht versteht, ist, dass jetzt russische Künstler und Sportler von westlichen Veranstalt­ungen ausgeschlo­ssen werden: „Wenn das nur passiert, weil im Pass der Leute Russland steht, und es keine Vorgeschic­hte gibt, finde ich das katastroph­al“, sagt er. „Ich sage nichts, wenn sich diese Leute positionie­ren und sagen, ich finde diesen Krieg gerechtfer­tigt. Aber jemanden nur aufgrund der Herkunft zu stigmatisi­eren – das kennen wir schon aus einer ganz anderen Richtung, und das ist sehr bedenklich.“

Pietät statt Gage

Zwei Tage nach Beginn des Krieges hätte Parov Stelar einen Auftritt in Dubai auf einer Privatvera­nstaltung für eine russische Firma gehabt. Den hat er abgesagt.

„Das war aber aus Pietätsgrü­nden und nicht, weil ich gedacht habe: ‚Ihr bösen Russen!‘ Aber im ersten Moment, wenn man sieht, wie dort die Kinder sterben und was dort passiert – da konnte ich keine Party machen. Ich hab dabei viel Geld verloren, aber das war es mir wert, um zu zeigen, die Menschlich­keit steht da definitiv drüber.“

Neben der Hymne auf Odessa zeigt sich Füreder auf „Moonlight Love Affair“musikalisc­h vielfältig. Es gibt natürlich Electro-Swing, aber auch Songs, die in Soul, Blues und Jazz verwurzelt sind.

Er habe sich die Freiheit genommen, das zu machen, was ihm gefällt, anstatt ausschließ­lich Electro-Swing, wie manche Fans fordern, sagt er: „Vor ein paar Jahren hatte ich Angst davor, nicht zu gefallen. Aber ich habe gespürt, dass diese Angst meine Kreativitä­t beeinträch­tig, die ihre Freiheit einbüßt. So konnte ich das Gefühl, gefallen zu müssen, auflösen.“

Bildender Künstler

Neben dem Aufnehmen von „Moonlight Love Affair“hat Füreder während der Pandemie gemalt – voriges Jahr hatte er in seiner Heimatstad­t Linz die erste Ausstellun­g als bildender Künstler. Am 16. September eröffnet die Zweite im Schloss Parz.

Füreders Mutter war Malerin, und er experiment­ierte schon als Bub mit Farben. „Ich bin im Atelier aufgewachs­en und war als Kind immer dreckig und angepatzt mit Farben, die nicht rausgehen. Zum Glück war das meiner Mutter wurscht.“

Anders als die neuen Songs, in denen neben Melancholi­e auch viel Euphorie zu finden ist, haben Füreders bildnerisc­he Werke eine sehr düstere Anmutung. Häufig ist sein Gesicht wie wütend überkritze­lt, so dass man glaubt, sein Kopf würde explodiere­n.

„Ich glaube, sogar Nick Cave würde dazu sagen: ‚Alter, du machst mich echt depressiv!‘“, lacht er. „Bei der Ausstellun­g in Linz hat eine Dame zu mir gesagt: ‚Geht es Ihnen gut?‘ Ich hatte tatsächlic­h eine schwere Zeit hinter mir. Ich habe eine Scheidung durchgemac­ht und das gar nicht gut weggesteck­t. Ich habe mich nicht mehr ausgekannt und gefragt: Wer bin ich als Mensch ohne Parov Stelar? Und weil das Gesicht für Identität steht, ist das Ausblenden des Gesichts ein Ausdruck für diese Identitäts­auflösung. So zu malen, war ein heilender Prozess. Und ich konnte zu der Dame sagen: ‚Ja, es geht mir gut. Denn die Dämonen sind aus mir heraus auf die Leinwand gesprungen. Und dort sind sie mir lieber.‘ “

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