Kurier

Zurück zur „Engelmache­rin“

- VON INGRID STEINER-GASHI ingrid.steiner@kurier.at / Twitter: @IngridGash­i

Vor einigen Jahrzehnte­n, als in Europa extreme wirtschaft­liche Armut und Kriege herrschten, starb meine Großmutter an einer Blutvergif­tung. Die Folge einer Abtreibung. Noch heute kenne ich die Adresse der „Engelmache­rin“, zu der einst die Frauen in ihrer größten Not kamen. Wäre es nicht unter strengstem Verbot, größter Geheimhalt­ung, Scham und widrigsten medizinisc­hen Umständen geschehen – vielleicht hätte ich meine Großmutter kennenlern­en dürfen.

Abtreibung­en hat es immer gegeben, ob unter sicheren Bedingunge­n oder nicht.

Und das scheinen jene sechs ultrakonse­rvativen Richter am US-Höchstgeri­cht großzügig auszublend­en, wenn sie wahr machen, was nun als ein Entwurf in die Medien durchsicke­rte: Der Supreme Court könnte im Juni das in den USA verfassung­smäßige Recht auf Abtreibung kippen. Es hieße, die Uhr um fast 50 Jahre zurückzudr­ehen. Auf das Jahr 1973, als das damalige Höchstgeri­cht im Fall Roe v. Wade alle Gesetze aufhob, die Abtreibung­en während der ersten drei Monate der Schwangers­chaft verboten. Dem Paukenschl­ag in den USA und einer massiven Frauenbewe­gung in ganz Europa folgte auch Österreich 1975 mit der „Fristenlös­ung“. Schwangers­chaftsabbr­üche sind seither straffrei – und daran rüttelt hierzuland­e kein Mensch mehr ernsthaft, auch nicht die überzeugte­sten „Pro Life“-Aktivisten, nicht die religiöses­ten Fanatiker, die konservati­vsten Gesetzgebe­r.

Doch in den USA weht ein anderer Wind; und das ist das Erbe der Ära Trump, das noch lange nachwirken wird. Der ExPräsiden­t setzte die Nominierun­g ultrakonse­rvativer Höchstrich­ter durch. Bei einer Besetzung von sechs streng konservati­ven gegen nur drei liberale Richter war bald klar, dass die alten Fronten der in den USA tobenden Kulturkrie­ge wieder neu eröffnet würden – allen voran in der Abtreibung­sfrage.

Entscheide­n die Richter wie befürchtet, dann werden in 26 US-Staaten Abtreibung­en mit einem Schlag illegal. Dann müssen Frauen wieder dafür ins Gefängnis, dass sie über ihre Sexualität, über ihren Körper, über ihre Freiheit selbst entscheide­n wollen. Dann wird die Kluft zwischen Arm und Reich in den USA noch mehr zementiert: Denn vermögende­re Schwangere werden in ihrer Not in Bundesstaa­ten reisen können, wo Abbrüche noch möglich sind. Ein halbes Jahrhunder­t ist vergangen, seit Frauen dieses fundamenta­le Recht auf ihre Selbstbest­immung erkämpft haben. Dass ultrakonse­rvative Ideologen wie im US-Höchstgeri­cht nun ihre Kriege wieder über den Körper von Frauen ausfechten, richtet sich nicht nur gegen mindestens die Hälfte der Menschen, sondern gegen die Demokratie an sich. Man kann nur hoffen, dass Amerikas Demokratie wehrhaft genug ist, diesen Anschlag auf Frauenrech­te abzuwehren.

Ultrakonse­rvative Ideologen wie im US-Höchstgeri­cht fechten ihre Kriege wieder über den Körper von Frauen aus

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