Mit dem Messer auf der perfekten Welle
Albertina. Eine spektakuläre Schau zeigt die Holzschnitte Hans Weigands
Auch wenn Österreich ein Binnenland ist, kennen mittlerweile viele das Gefühl, auf schwankendem Boden zu stehen. Das Schaukeln, Driften, Sinken ist in der vom Philosophen Zygmunt Bauman als „Liquide Moderne“bezeichneten Gegenwart beinahe schon zum universellen Lebensgefühl geworden – die Möglichkeiten, sich anzuhalten, schwinden. Wer in diesem Zustand noch Würde und Eleganz bewahren kann, gleicht einem Surfer, der in den Wogen Haltung zeigt – doch auch dieser ist ständig vom Untergang bedroht.
Der Künstler Hans Weigand, 1954 in Tirol geboren und durch einen längeren Kalifornien-Aufenthalt in den 1990er-Jahren stark geprägt, operiert schon lange mit dem Bildvokabular von Wellen und Surfern. Auch die apokalyptische Sprache einstürzender Gebäude und dergleichen kennt man von ihm.
Gravierendes, graviert
Was Weigands Bildern aber Halt gibt, ist – neben einer genau kalibrierten Balance aus Untergangs- und Lebenslust in den Motiven – die Verankerung in der alten Technik des kolorierten Holzschnitts. Auf diesen Bereich von Weigands Arbeit fokussiert nun eine eindrucksvolle Werkschau in der Albertina (bis 21. 8. ) – durchaus folgerichtig, ist doch die traditionsreiche Drucktechnik von Albrecht Dürer und Martin Schongauer bis zu Franz Gertsch und Kiki Smith tief im „Erbgut“des Museums verankert.
Weigands Werke unterscheiden sich allerdings nicht bloß im Format von der Tradition – sie sind oft gar nicht gedruckt, sondern erreichen als Reliefplatten, in denen Schnitzer im Holz zugleich für Raumtiefe und für Licht sorgen, ihren fertigen Status.
Wie die jüngsten Werke – darunter die als Endlos-Panorama gedachte Serie „Blumen des Bösen“– zeigen, hat es
Weigand zu großer Meisterschaft in der Handhabung dieser Stilmittel gebracht.
Was die Bilder abseits der Technik einprägsam macht, ist eine Kraft, die sich im Aufeinandertreffen von historischer Beständigkeit und akuter Gegenwart generiert.
Monumente am Abgrund
Die fein schraffierte Anmutung alter Illustrationen, an Stahlstichen des 19. Jahrhunderts geschult, gibt Weigands Bildern eine eigentümliche Monumentalität – auch dann, wenn die dargestellte Figur eine obdachlose Frau ist: Wie Weigand erzählt, erblickte er das reale Vorbild für dieses Motiv nach der Delogierungswelle infolge der Finanzkrise 2008 in Kalifornien, die Habseligkeiten im Einkaufswagen vor sich her schiebend. Obdachlose kommen in mehreren Bildern vor, ebenso wie der Campingwagen mit eingeschlagenen Scheiben oder herrenlose Surfboards. Die Metapher des bedrohten oder verlorenen Paradieses könnte leicht zum Klischee gerinnen, würde Weigand es nicht schaffen, sie bildnerisch zu entrücken. So findet sie eine gleichsam dauerhafte wie verstörende Form.