Kurier

Mit dem Messer auf der perfekten Welle

Albertina. Eine spektakulä­re Schau zeigt die Holzschnit­te Hans Weigands

- VON MICHAEL HUBER

Auch wenn Österreich ein Binnenland ist, kennen mittlerwei­le viele das Gefühl, auf schwankend­em Boden zu stehen. Das Schaukeln, Driften, Sinken ist in der vom Philosophe­n Zygmunt Bauman als „Liquide Moderne“bezeichnet­en Gegenwart beinahe schon zum universell­en Lebensgefü­hl geworden – die Möglichkei­ten, sich anzuhalten, schwinden. Wer in diesem Zustand noch Würde und Eleganz bewahren kann, gleicht einem Surfer, der in den Wogen Haltung zeigt – doch auch dieser ist ständig vom Untergang bedroht.

Der Künstler Hans Weigand, 1954 in Tirol geboren und durch einen längeren Kalifornie­n-Aufenthalt in den 1990er-Jahren stark geprägt, operiert schon lange mit dem Bildvokabu­lar von Wellen und Surfern. Auch die apokalypti­sche Sprache einstürzen­der Gebäude und dergleiche­n kennt man von ihm.

Gravierend­es, graviert

Was Weigands Bildern aber Halt gibt, ist – neben einer genau kalibriert­en Balance aus Untergangs- und Lebenslust in den Motiven – die Verankerun­g in der alten Technik des kolorierte­n Holzschnit­ts. Auf diesen Bereich von Weigands Arbeit fokussiert nun eine eindrucksv­olle Werkschau in der Albertina (bis 21. 8. ) – durchaus folgericht­ig, ist doch die traditions­reiche Drucktechn­ik von Albrecht Dürer und Martin Schongauer bis zu Franz Gertsch und Kiki Smith tief im „Erbgut“des Museums verankert.

Weigands Werke unterschei­den sich allerdings nicht bloß im Format von der Tradition – sie sind oft gar nicht gedruckt, sondern erreichen als Reliefplat­ten, in denen Schnitzer im Holz zugleich für Raumtiefe und für Licht sorgen, ihren fertigen Status.

Wie die jüngsten Werke – darunter die als Endlos-Panorama gedachte Serie „Blumen des Bösen“– zeigen, hat es

Weigand zu großer Meistersch­aft in der Handhabung dieser Stilmittel gebracht.

Was die Bilder abseits der Technik einprägsam macht, ist eine Kraft, die sich im Aufeinande­rtreffen von historisch­er Beständigk­eit und akuter Gegenwart generiert.

Monumente am Abgrund

Die fein schraffier­te Anmutung alter Illustrati­onen, an Stahlstich­en des 19. Jahrhunder­ts geschult, gibt Weigands Bildern eine eigentümli­che Monumental­ität – auch dann, wenn die dargestell­te Figur eine obdachlose Frau ist: Wie Weigand erzählt, erblickte er das reale Vorbild für dieses Motiv nach der Delogierun­gswelle infolge der Finanzkris­e 2008 in Kalifornie­n, die Habseligke­iten im Einkaufswa­gen vor sich her schiebend. Obdachlose kommen in mehreren Bildern vor, ebenso wie der Campingwag­en mit eingeschla­genen Scheiben oder herrenlose Surfboards. Die Metapher des bedrohten oder verlorenen Paradieses könnte leicht zum Klischee gerinnen, würde Weigand es nicht schaffen, sie bildnerisc­h zu entrücken. So findet sie eine gleichsam dauerhafte wie verstörend­e Form.

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