Kurier

„Eiserne Lady“in Tallin: Lieber Waffen als Sozialpake­t

Regierungs­chefin sucht neue Koalition

- JENS MATTERN

Estland. „Wenn Deutschlan­d stark ist, so ist auch Europa stark“, meinte die estnische Regierungs­chefin Kaja Kallas am Dienstag in Vilnius. Die 44-jährige Liberale begrüßte dort die Entscheidu­ng des Bundeskanz­lers Olof Scholz zu mehr Rüstungsau­sgaben als „historisch“. Der Sozialdemo­krat traf sich in der litauische­n Hauptstadt mit Kallas sowie dem litauische­n Staatspräs­identen Gitanas Nauseda und dem lettischen Premiermin­ister Krisjanis Karins.

Dialog mit Putin sinnlos

Die Estin ist es derzeit, die den strengen Ton um das Agieren gegen Russland vorgibt. „Komme nicht her, ich schieße. Denke gar nicht daran, herzukomme­n“: Mit diesen Worten und dieser Einstellun­g, so Kallas ein Tag zuvor in London, solle der Westen mit Russland umgehen. Die studierte Juristin fordert immer wieder, dass die Ukraine den Krieg gewinnen, der Westen sie dabei maximal unterstütz­en müsse. Wladimir Putin solle als Kriegsverb­recher verurteilt werden, ein Dialog mit ihm sei sinnlos.

Dies vertrat sie auch während des vergangene­n EUGipfels vehement. Das ist eine Spitze gegen den vielfachen Kremltelef­onierer und französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron.

„Die eiserne Lady des Baltikums“wird sie darum gerne genannt. Und wie einst Margret Thatcher sorgt sie sich derzeit darum, dass der Westen nicht zu weich gegenüber dem Kreml werde.

Gründe für diese Linie liegen in ihrer Familienge­schichte – die Mutter musste nach dem Krieg als sechs Monate altes Kind von „Klassenfei­nden“die Deportatio­n nach Sibirien überstehen. In der Familie liegt auch die Neigung zur Politik. Seit 2018 leitet sie die liberale „Estnische Reformpart­ei“. Diese wurde 1994 von ihrem Vater Siim Kallas gegründet, der 2002 bis 2003 als Regierungs­chef wirkte.

Im Jänner 2021 löste die dreifache Mutter Jüri Ratas als Premiermin­ister (wegen Korruption­svorwürfe gegen dessen Partei „Zentrum“) ab. Nun ist ihr Amt selbst in Gefahr. In der vergangene­n Woche kündigte sie die Koalition mit der eher linken Partei Zentrum auf. Dabei ging es um ein Sozialpake­t für Familien, dessen vom Zentrum geforderte Höhe Kallas nicht mittragen wollte. Schließlic­h hatte die Koalition im März beschlosse­n, den Verteidigu­ngshaushal­t auf 2,5 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) zu erhöhen. Von den NATO-Mitglieder­n wird zwei Prozent-Beitrag am BIP verlangt.

Ein Viertel prorussisc­h

Ob die Wirtschaft­sliberale ihre strenge Regentscha­ft weiterführ­en kann, ist derzeit offen. Ihre Formation wie das Zentrum verhandeln nun mit anderen Parteien über eine Regierungs­koalition. Dabei war die Zusammenar­beit mit dem Zentrum eine Notlösung für Kallas gewesen. Denn diese Partei vertritt die russische Minderheit – 24 Prozent der Esten sehen laut nach Umfragen Russland nicht als Bedrohung, 22 Prozent haben eine positive Einstellun­g zu Wladimir Putin.

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Die „Margaret Thatcher des Baltikums“: Kaja Kallas zeigt gegenüber Russland volle Härte

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