Putins Krieg und Erdoğans Beitrag
Getreidekrise. Die Türkei verhandelt schlagzeilenträchtig, wie ukrainisches Getreide exportiert werden kann. Erdoğans neutrale Vermittlerrolle sei aber nur Show, sagen Experten: Er verfolge eigene Großmachtfantasien
In russischen und türkischen Medien ist alles klar: Wenn Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch nach Ankara reist, dann können die 25 Millionen Tonnen Getreide, die in der Ukraine feststecken, exportiert werden – weil die Türkei und Russland das in die Wege geleitet haben.
Nur: Dass die Ukraine, der das Getreide gehört, die es wegen der russischen Blockade im Schwarzen Meer nicht ausführen kann, gar nicht mit am Tisch sitzt – das bleibt unerwähnt.
Das wirft die Frage auf: Ist die Türkei, die sich seit Kriegsbeginn als Friedensstifterin inszeniert, neutral?
Zwei-Stühle-Politik
„Nein. Die Türkei ist kein neutraler Vermittler. Sie hat nur Eigeninteressen im Auge“, sagt Osteuropa-Experte Alexander Dubowy. „Präsident Erdoğan will den Aggressor nicht in die Schranken weisen. Er paktiert mal mit dem Westen, mal mit Russland.“
Hintergrund dieser ZweiStühle-Politik seien Erdoğans eigene Großmachtfanatsien; er will die angeknackste türkische Wirtschaft nicht weiter schwächen. Russland ist mit einem Handelsvolumen von 26 Milliarden Dollar einer der wichtigsten Partner, knapp fünf Millionen Russen machen jährlich in der Türkei Urlaub. An den Sanktionen hat Ankara sich darum nicht beteiligt, nun profitiert Erdoğan sogar davon. Etliche Oligarchen haben ihr sanktioniertes Vermögen in der Türkei geparkt, man lockt bewusst aus Russland geflohene IT-Firmen in die Türkei. Und den reichen Russen, die gerade massenhaft türkische Immobilien kaufen, wird als Gegengeschäft die „sanktionsfreie“türkische Staatsbürgerschaft angetragen.
Dazu kommt, dass Russland auch Druckmittel in der Hand hat – die Gas- und Weizenabhängigkeit der Türkei. Dass russische Schiffe mit Weizen aus besetzten Gebieten nicht gestoppt wurden, sogar weggeschaut wurde, als türkische Abnehmer diesen Weizen kauften, dürfte darauf zurückzuführen sein.
Dementsprechend mager sind die Aussichten für einen Deal. „Das ist zum Scheitern verurteilt“, sagt Dubowy. Kiew wird Moskaus Forderung, den Hafen Odessa zu entminen, nicht nachkommen – er ist der einzige, der noch in ukrainischer Hand ist; Kiew fürchtet einen Angriff. Selenskijs Gegenvorschlag, eine Entminung nur unter Aufsicht von Türken und Briten durchzuführen, wird Moskau nicht gefallen. Und auch den Briten nicht: „Käme es tatsächlich zu einem Angriff, wären zwei NATO-Staaten involviert.“
Ähnlich aussichtslos sind auch die Friedensgespräche, die in Ankara seit Monaten forciert. „Russland hat sie nur gestartet, um international abzulenken“, so Dubowy. Moskau verfolge dieselben Kriegsziele wie am ersten Tag. „Und dazu gehört auch ein Regimewechsel in Kiew.“