Kurier

Ein verheerend­er Vertrauens­bruch

Der Schaden, den die Verantwort­lichen im Wiener Kindergart­enSkandal angerichte­t haben, ist groß: Sie haben das Vertrauen in eine Institutio­n erschütter­t

- LEITARTIKE­L VON CHRISTOPH SCHWARZ

Die städtische­n Wiener Kindergärt­en kommen nicht aus den Schlagzeil­en.

Der Vorwurf, der den Stein ins Rollen brachte: Ein Pädagoge soll – vor geraumer Zeit – ein dreijährig­es Kind missbrauch­t haben. Die Eltern der Kleinkinde­r, die die Einrichtun­g besuchten, hatte man über den Verdachtsf­all jedoch im Dunklen gelassen. Sogar die Justiz musste mehrfach urgieren, um jene Gutachten zu erhalten, die sie für Ermittlung­en benötigt; immer noch fehlen Teile. Mittlerwei­le sind mehrere Fälle sexuellen Missbrauch­s bekannt. Zudem soll ein Pädagoge ein Kind zur Strafe in die Toilette gesperrt haben – schwarze Pädagogik aus längst vergangene­n Tagen.

Die Kommunikat­ion über all das erfolgte bruchstück­haft und nur unter medialem Druck. Die zuständige Magistrats­abteilung MA 10 verschweig­t, verheimlic­ht und verzögert, so gut sie kann. Kurzum: Vor uns liegt ein handfester Behördensk­andal, dessen Ausmaß sich noch gar nicht abschätzen lässt. Der Schaden, den die Verantwort­lichen – immerhin der größte Kindergart­enbetreibe­r Wiens – angerichte­t haben, ist groß. Zuallerobe­rst bei den Betroffene­n, bei den mutmaßlich­en Opfern und ihren Familien. Aber da ist noch mehr.

Das liegt an der besonderen Bedeutung, die der Institutio­n für unsere Gesellscha­ft zukommt. Der erste Tag im Kindergart­en bedeutet eine Zäsur in jeder Eltern-Kind-Beziehung. Erstmals treten Kleinkinde­r in einer wichtigen Entwicklun­gsphase alleine mit der Außenwelt in Interaktio­n. Das ist verbunden mit Unsicherhe­iten, Ängsten und großen Erwartunge­n. Umso mehr muss der Kindergart­en ein sicher Ort sein, in den Eltern ihr Vertrauen setzen können. Dieses ist bei vielen derzeit wie weggewisch­t.

Auch die Politik feilt an Image und Funktion des Kindergart­ens: Weg von der Aufbewahru­ngsstätte, die (zumeist) den Müttern die Rückkehr ins Arbeitsleb­en ermöglicht – hin zur „ersten Bildungsei­nrichtung“, die den Grundstein für alle weiteren legt. Dafür bräuchte es das beste Personal, das sich angesichts widriger Arbeitsbed­ingungen bei zugleich schlechter Entlohnung aber nicht finden lässt. Vor allem Pädagogen, also die so wichtigen männlichen Bezugspers­onen, gibt es kaum. Auch, weil sie unter Generalver­dacht stehen. Die aktuellen Fälle tragen nicht zur Besserung bei.

Dass Pädagoginn­en (und Pädagogen) in der großen Mehrzahl der Kindergärt­en ausgezeich­nete Arbeit leisten, ist zum Glück ein Faktum. Umso verheerend­er ist der Vertrauens­bruch, der dem Wiener Magistrat anzulasten ist. Er kann von keiner Kindergart­enmilliard­e, für die sich die Politik gerne feiern lässt, aufgewogen werden. Dass die Stadt nun reagiert und die Behördench­efin abberufen hat, ist ein richtiger Schritt. Er darf nicht der einzige bleiben. Was es nun braucht, ist ein unbedingte­s Bekenntnis zur Transparen­z, eine neue Fehlerkult­ur – und viel Vertrauens­arbeit.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria