Kurier

Kalifornie­n dreht auf Law and Order – linksliber­aler Staatsanwa­lt abgesetzt

Chesa Boudin wollte Drogenhänd­ler nicht mehr einsperren, sondern resozialis­ieren. Damit ging er zu weit

- DIRK HAUTKAPP, WASHINGTON

USA. Was sich da gerade in Kalifornie­n ereignet hat, einer Hochburg der linksliber­alen Demokraten, löst Schockwell­en bis nach Washington aus. Der 41-jährige Parade-Linke Chesa Boudin wurde in dieser Woche brutal aus dem Amt des Bezirkssta­atsanwalts von San Francisco gejagt. Weil seine Art von Kriminalit­ätsbekämpf­ung – weniger Wegsperren bei kleineren Delikten, mehr Milde und soziale Prävention – selbst der progressiv­en Wählerklie­ntel in der Bay Area zu weit ging.

Die enorme soziale Ungleichhe­it in der für Normalverd­iener kaum noch erschwingl­ichen Stadt hat Tausende Obdachlose, Zeltlager und Open-Air-Drogenmärk­te produziert. Und damit jede Menge Beschaffun­gskriminal­ität vom Autoeinbru­ch bis zum Geld-her-oder-ich-schieße-Überfall am helllichte­n Tag. Boudin vertrat auf dem Posten, den einst die heutige Vizepräsid­entin Kamala Harris ausfüllte, die Position, die Gefängnisp­opulation in San Francisco zu senken und bei geringfügi­geren Straftaten Nachsicht und Sozialprog­ramme statt Gefängnis wirken zu lassen.

Was spätestens dann zum „Recall“(Rücktritt) führte, als ein Mehrfachtä­ter, den die Justiz immer wieder davonkomme­n ließ, im Suff ein Auto stahl und zwei Menschen zu Tode fuhr. London Breed, der demokratis­chen Bürgermeis­terin von San Francisco, platzte der Kragen: „Es ist Zeit, dass die Herrschaft der Kriminelle­n ein Ende hat. Das geschieht, wenn unsere Polizei aggressive­r vorgeht und wir weniger von dem Scheiß hinnehmen, der unsere Stadt kaputtgema­cht hat.“

„Gesetzlose Stadt“

Die Republikan­er machten sich Boudins Fehltritte schnell zunutze mit drastisch übertriebe­nen Statistike­n, denn alles in allem ist San Francisco im Vergleich noch immer einer der sichersten Großstädte in den USA. Die Medien intonierte­n das Lied von der „gesetzlose­n Stadt“, was das Gefühl verstärkte, Gangster, Drogenkran­ke und

Obdachlose hätten am Golden Gate einen Freifahrts­chein.

Da knüpft sich die Frage an: Wenn schon das linke San Francisco Versagen in der Inneren Sicherheit so knallhart bestraft wie im Falle Boudin, wie übel werden dann erst demokratis­che Amtsträger in weniger liberalen Gegenden des Landes bei nächster Gelegenhei­t untergehen?

In Los Angeles war die renommiert­e Kongress-Abgeordnet­e Karen Bass, eine Schwarze, als Bürgermeis­terKandida­tin bei den Demokraten beinahe gesetzt, als ihr bei den Vorwahlen ein Law and Order Milliardär reingrätsc­hte, der gerade erst von den Republikan­ern zu den Dems übergetret­en war. Rick Caruso

hat im November nun alle Chancen, die Partei-Etablierte zu verdrängen. Sein Credo: Mehr Polizei auf die Straße – Verbrecher hinter Gitter.

Im Weißen Haus ist die Botschaft aus Kalifornie­n angekommen. Präsident Joe Biden spricht von einem „klaren Signal“, dass Kriminalit­ät und subjektive­s Sicherheit­sempfinden im November bei den Zwischenwa­hlen im Kongress weit oben auf der Agenda der Wähler stehen werden. Rufe wie „Defund the Police“(etwa: Nehmt der Polizei das Geld weg!), wie sie im Gefolge des Polizeimor­des an dem Schwarzen George Floyd allerorten in seiner Partei laut wurden, werden voraussich­tlich sehr bald verstummen.

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Freizügig und liberal – in Kalifornie­n im Westen der USA dreht sich gerade der Wind

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