Kurier

Das Projekt

- VON UTE BRÜHL

So konzentrie­rt sieht man die Kinder der 2B der Volksschul­e Felixdorf selten: Alle schauen gebannt auf Mario und versuchen, seine Gesten nachzumach­en – der Künstler beherrscht nämlich die Gebärdensp­rache und bringt den Kindern das Alphabet bei.

Mario ist nur für einen Tag in der Klasse – im Rahmen des Projekts Mellow Yellow (siehe rechts). Keines der Kinder ahnte, was sie genau erwartet. „Sie wussten nur, dass es ein Tanzworksh­op wird“, erzählt Direktorin Sonja Schärf-Stangl. Die Idee hinter der Veranstalt­ung: Die Kinder sollen hier auf Menschen mit unterschie­dlichen Behinderun­gen treffen – und das ganz unvoreinge­nommen. Heute sind es Gehörlose, die mit der 2B tanzen – in anderen Klassen waren Menschen, die im Rollstuhl sitzen.

Weil die Kinder im Vorhinein nicht wissen, dass sie auf Menschen mit Behinderun­gen treffen, treten Berührungs­ängste erst gar nicht auf – im Gegenteil: Es ist eine fasziniere­nde Welt, in der die Buben und Mädchen eintauchen und von der sie sich auch gerne verzaubern lassen. So wie an diesem Morgen, als die Kinder eine neue Sprache entdecken dürfen – die Gebärdensp­rache.

Buchstabie­ren

Und sie haben alle gut aufgepasst: Jedes Kind kann am Ende seinen Namen buchstabie­ren. Dass das Buchstabie­ren nicht immer nötig ist, erzählt Mario anhand seiner Geschichte: „Früher hatte ich ein Flinserl über dem Auge, an dem ich immer gezupft habe. Wenn sich jetzt jemand in der Gebärdensp­rache mit der Hand am Auge zupft, weiß ich, dass ich gemeint bin.“So wird er zum Beispiel auch von Franz, dem gehörlosen Künstler gerufen, der mit den Kindern durch den Turnsaal tanzt. „Versucht, einander nicht zu berühren“, fordern die Künstler die Kinder auf.

Franz und Mario tanzen natürlich mit – und alle lernen so, auf den anderen zu achten und Rücksicht zu nehmen.

Dass Franz gehörlos ist, ist für die Kinder dabei nichts, was für sie erwähnensw­ert wäre – er ist ganz selbstvers­tändlicher Teil der Gruppe. Und genau das ist das Ziel von Mellow Yellow: Die Behinderun­g sollte im Miteinande­r

keine Rolle spielen, alle begegnen sich auf Augenhöhe.

Mit ihrer Aktion erreichen die Künstlerin­nen und Künstler das auch. Die 2B ist nämlich nicht die erste und einzige Klasse, die einen Tag mit Mellow Yellow verbringen darf. Neun von zwölf der Volksschul­klassen in Felixdorf, das nahe Wiener Neustadt liegt, hatten einen Projekttag.

Die Klasse 4A kann sich noch besonders an einen jungen

Die Idee Schülerinn­en und Schüler können im Rahmen des Projekts Menschen mit und ohne Beeinträch­tigungen begegnen

Kostenlos ist das Projekt für öffentlich­en Volksschul­en, Mittelschu­len und AHS-Unterstufe: mellowyell­ow.at

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Schüler und Schülerinn­en in 148 Klassen von 80 Schulen hat das Projekt in Österreich bereits erreicht

Mann im Rollstuhl erinnern. „Ich dachte anfangs, er sei traurig, weil er nicht gehen kann“, erinnert sich ein Mädchen an die Begegnung. „Doch bald merkte ich, dass er ganz glücklich ist.“Der erste Gedanke ihres Mitschüler­s war hingegen: „Schade, der kann so gar nicht Fußballspi­elen.“

Heute weiß der Bub: Das geht. „Die Kinder sind sehr kreativ darin, solche Probleme zu lösen“, erzählt die Direktorin.

Sie hatte einst in ihrer Klasse einen Buben, der im Rollstuhl saß: „Der war dann immer im Tor“, erzählt sie den Schülerinn­en und Schülern. Erfreulich: Es gibt so gut wie kein Kind, dem das Projekt nicht gefallen hat. Mehr noch: „Am liebsten würde ich das nächste Woche gleich wieder machen“, sagt etwa Emma aus der 2B.

Mitgedacht

Die Kinder hätten kein Problem damit, wenn in ihrer Klasse ein Kind mit Behinderun­g säße. „Wir könnten ja einen Sessel wegstellen, damit es mit seinem Rollstuhl am Tisch sitzen kann“, schlägt ein Volksschül­er vor.

Wenn die Kinder über das Projekt sprechen, dann fällt ihnen vor allem ein, dass sie in der Mittagspau­se mit den Künstlerin­nen und Künstlern

Pizza gegessen haben, oder wie lustig das Tanzen war – die jeweilige Behinderun­g ist nicht das Thema. Und das, obwohl sie in ihrem Alltag bisher keinen Kontakt zu Menschen im Rollstuhl hatten. Außer vielleicht zur Oma, „aber die ist schon alt“.

Für Andrea Horvath, Lehrerin der 2B, ist klar: „Der direkte Kontakt mit Menschen mit Behinderun­gen kann Vorurteile­n vorbeugen und für Kinder prägend sein. Auch ich, obwohl ich persönlich schon sehr sensibilis­iert für das Thema Inklusion bin, war positiv überrascht wie harmonisch unser Workshop heute abgelaufen ist.“Und die Direktorin hält „den zeitgemäße­n, selbstvers­tändlichen Umgang mit Diversität für eine der wichtigste­n Kompetenze­n, die jeder Mensch so früh wie möglich erwerben sollte.“

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