Kurier

Widersprüc­hliches

- VON MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Neulich in einer Gesprächsr­unde: Der allgegenwä­rtige Fachkräfte­mangel werde es vielen Sommertour­isten heuer an den Wochenende­n schwer machen, ein Schnitzel serviert zu bekommen, sind sich alle sicher. Wegen der schlechten Löhne in der Gastronomi­e wolle dort halt niemand mehr arbeiten. Wenig später werden die gestiegene­n Preise beklagt: „Vier Euro für einen Kaffee in Ottakring, ein Wahnsinn.“

Logischerw­eise hat das eine mit dem anderen zu tun: Personalkn­appheit erhöht die Gehälter, das nennt sich Marktwirts­chaft. Selbstvers­tändlich kostet das am Ende auch die Kunden mehr. Aber wir leben in Österreich: Da erwartet man vom Staat, dass er alle Widrigkeit­en des Lebens ausgleicht. Bezahlen muss das natürlich der Steuerzahl­er. Die aktuelle SPÖ-Forderung nach einer Vier-Tage-Woche würde die Preisspira­le noch weiter treiben. (Und wer hält künftig das öffentlich­e Leben zwischen Freitag und Sonntag am Laufen?) Am anderen ideologisc­hen Ende agiert man nicht weiser: So haben selbst Wirtschaft­sliberale mit wenigen Ausnahmen die Hand für staatliche Pandemiehi­lfen aufgehalte­n, die in manchen Bereichen wahrschein­lich sogar überreichl­ich flossen. Apropos Pandemie: Kaum jemals gab es so viel Widersprüc­hliches. In der Ära Kurz informiert­e das „virologisc­he Quartett“– Kanzler mit drei Ministern. Es kam in Verruf, weil sich das Virus leider nicht an Vorhersage­n hielt und die Politik global irrte. Daraufhin setzte man auf Expertengr­emien. Diese sind jedoch meist uneins, delegieren Entscheidu­ngen an die Regierung zurück und nörgeln dann darüber. Die Politik kann es nie recht machen: Kommunizie­rt sie zurückhalt­end, wird der Regierungs­chef zum „Schweigeka­nzler“gestempelt. Wird alles hinausposa­unt, gibt es Kritik an hohler PR.

Über manches kann aber offenbar gar nicht genug geredet werden. Das Zelebriere­n des „Pride Month“sendet widersprüc­hliche Signale aus. Eigentlich sollte man annehmen, dass lesbisch oder schwul zu sein in unserer liberalen Gesellscha­ft kein Thema mehr ist (was sich hoffentlic­h auch durch den zehntausen­dfachen Zuzug aus religiös geprägten Kulturen, die Homosexual­ität ächten, niemals ändern wird). Warum wird dann vier Wochen lang die Privatheit der sexuellen Orientieru­ng ins Gegenteil verkehrt, als wäre das etwas Besonderes bzw. Lässigeres als Heterosexu­alität – und nicht einfach Normalität? Kann das nicht vielleicht genau jenes Unbehagen auslösen, das man zu bekämpfen vorgibt? Sollte es wirklich noch Diskrimini­erungen geben, kann man sie ja ohne Tamtam beseitigen.

Leider steht Unaufgereg­theit nicht besonders hoch im Kurs. In der Nachrichte­nflut muss jeder besonders schrill sein, das nennt sich dann Aufmerksam­keitsökono­mie. Wer wird sich da schon um die vielen Widersprüc­he kümmern?

Unaufgereg­theit hat derzeit einen schweren Stand, wie ein kleiner Streifzug durch die aktuellen Debatten zeigt

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