Kurier

Mélenchons letzter Griff nach der Macht

Frankreich. Der Linkspolit­iker will im Zuge der Parlaments­wahlen Premiermin­ister unter Macron werden

- AUS PARIS SIMONE WEILER

Französisc­her Präsident wird er wohl nicht mehr werden. Dreimal hintereina­nder hat Jean-Luc Mélenchon es versucht, zuletzt im April, als er mit einem Ergebnis von 22 Prozent nur knapp die Stichwahl verpasste. Seitdem trat der 70-jährige Linke in seinen wohl letzten politische­n Kampf ein: Er will das Land als Premiermin­ister regieren.

Dafür müsste das Parteienbü­ndnis, das seine Bewegung La France Insoumise („Das unbeugsame Frankreich“), kurz LFI, mit Sozialiste­n, Grünen und Kommuniste­n geschlosse­n hat, bei den Parlaments­wahlen an den kommenden beiden Sonntagen gewinnen. Umfragen sagen dieser Allianz namens Nupes („Neue soziale und ökologisch­e VolksUnion“) zwischen 195 und 230 der 577 Sitze in der Nationalve­rsammlung voraus. Um den Regierungs­chef zu stellen, wäre eine Mehrheit notwendig. Eine Überraschu­ng ist laut Meinungsfo­rschern allerdings nicht ausgeschlo­ssen. Und Mélenchon wird nicht müde, diese in den Bereich des Möglichen zu stellen.

„Unsere Chancen stehen ziemlich gut“, ruft er bei Wahlkampfv­eranstaltu­ngen, die er derzeit im ganzen Land besucht. Viele jüngere Menschen sehen in dem linken Volkstribu­n ein Idol. In seinem Kampf gegen das Patriarcha­t und für das „kleine Volk“setzt er auf soziale Medien. Wenn Mélenchon das Ende der „präsidenti­ellen Monarchie“verspricht, klingt er, als sei er einer der Chef-Revolution­äre aus der Zeit von Juli 1789. Zugleich führt er seine Bewegung LFI, die er ganz auf sich selbst zugeschnit­ten hat, autoritär.

Sie ging 2016 aus der 2008 von ihm gegründete­n französisc­hen Linksparte­i hervor, als Mélenchon die Sozialiste­n nach über 30 Jahren Mitgliedsc­haft verließ. Dass sie nun als Juniorpart­ner seiner Nupes-Allianz beitrat, ist ein später Triumph. Was sie seit jeher getrennt hatte, waren seine Ablehnung sozialdemo­kratischer Reformen und die Haltung zur EU: Vor dem Referendum über einen EU-Verfassung­svertrag 2005 warb Mélenchon entgegen der sozialisti­schen Parteilini­e für eine Ablehnung, zu der es dann auch kam. In ihrem aktuellen Wahlprogra­mm fordert Nupes „europäisch­en Ungehorsam“überwiegen­d in der Fiskalpoli­tik.

Für NATO-Austritt

Anders als noch vor fünf Jahren fordert Mélenchon aber nicht mehr für den Austritt Frankreich­s aus der EU, wohl aber noch aus der NATO. Bis zu Russlands Überfall auf die

Ukraine hat er Präsident Wladimir Putin gegen eine „imperialis­tisch auftretend­e USA“verteidigt.

Geboren ist Mélenchon im marokkanis­chen Tanger, das damals zu einer von mehreren Ländern verwaltete­n „internatio­nalisierte­n Zone“gehörte, als Sohn einer Grundschul­lehrerin und eines Mitarbeite­rs des Fernmelded­ienstes. Die Eltern hatten spanische Wurzeln. Mit elf Jahren kam er mit seiner Mutter nach Frankreich, wo er sich im Mai 1968 als Gymnasiast an den Studentenr­evolten beteiligte. Während seines Studiums der Philosophi­e und Literaturw­issenschaf­t engagierte er sich in der trotzkisti­schen Studenteno­rganisatio­n OCI, deren Büro in Besançon er leitete.

Nach diversen Jobs unter anderem als Journalist und Lehrer begann er seine politische Karriere in der Lokalpolit­ik, wurde Senator, beigeordne­ter Minister für Berufsbild­ung, saß in der Nationalve­rsammlung und im EU-Parlament. Der charismati­sche Politiker, dessen einzige Tochter sich ebenfalls in seiner Partei engagiert, verdankt seine Bekannthei­t unter anderem seinen regelmäßig­en Wutausbrüc­hen. Vor der Präsidents­chaftswahl kam es zu heftigen TV-Debatten mit dem rechtsextr­emen Kandidaten Éric Zemmour. 2018 stellte sich Mélenchon mit den Worten „Die Republik, das bin ich!“Finanzermi­ttlern entgegen, die seine Parteizent­rale aufsuchten.

Sollte sein Ziel scheitern, Regierungs­chef zu werden, könnte er sich in den politische­n Ruhestand verabschie­den. Es wäre keine Rente mit 60, wie er selbst sie bewirbt. Aber für Jean-Luc Mélenchon gelten eben andere Regeln.

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