Die Macht der fünf Edelsteine
Duell. Ein Wiener Schriftsteller versucht sich im Eigenverlag als Spieleautor – und schickt uns in einem Deckbau-Spiel in ein mystisches Duell. Die Idee ist (alt-)bekannt, die Umsetzung kann sich aber sehen lassen
Wenn es nach Magic aussieht, nach Magic klingt und sich wie Magic anfühlt – dann ist es wahrscheinlich Magic.
So oder so ähnlich würde der US-amerikanische Schriftsteller James Whitcomb Riley, Urvater des berühmten Ententests, wohl urteilen. Dass man mit derartigen Schlussfolgerungen auch ziemlich falschliegen kann, weisen wir heute nach.
Denn wenn es nach Magic aussieht, nach Magic klingt und sich wie Magic anfühlt – dann könnte es auch Gemwielders sein.
Seit erst zwei Wochen ist das Deckbuilding-Kartenspiel auf dem Markt. Verantwortlich dafür zeichnet ein Wiener Spieleentwickler, der sein Erstlingswerk unter dem Pseudonym Estragon publiziert hat. Eigentlich ist er Schriftsteller. Erschienen ist Gemwielders in einer ersten Kleinstauflage – und ist daher jedenfalls ein Insidertipp. Klar, all das weckt unser Interesse.
Das Spielprinzip
Getrieben ist das Spielgeschehen von einer fantastischen Geschichte – nichts anderes erwarten wir uns von einem Autor! – zweier „Gemwielder“. Auf Deutsch übersetzt wären das, etwas holprig, „Edelsteinträger“. (Da bleiben wir lieber im Englischen.)
Die beiden Protagonisten treten also in ein klassisches Kartenduell ein, jeweils ausgerüstet mit einer Waffe, die sie im Verlauf des Spiels mit mystischen Edelsteinen bestücken können, um ihre Macht wachsen zu lassen.
Die Edelsteine sind denn auch das spielbestimmende Element, hier verweilen wir kurz: Fünf verschiedene Arten gibt es – vom roten Rubin über blaue Saphire bis zu grünen Smaragden. Jeder einzelnen
Farbe sind andere Kernfähigkeiten zugeordnet. Rot etwa steht für bedingungslosen Angriff, blau lässt den Spieler Karten ziehen, grün stärkt die Verteidigung.
Und erneut: Ja, Fans des Sammelkarten-Klassikers Magic haben bis zu diesem Punkt schon mehrere Déjà-vu durchlebt. (Dafür sorgt auch die optische Aufbereitung der Spielkarten.) Für Autor Estragon ist das kein Makel, sondern eine Stärke: „Es ist vernünftig, im Design neuer Spiele auf funktionierende Mechaniken zurückzugreifen und berechtigte Erwartungen der Spieler zu befriedigen. Alles andere wäre nicht innovativ, sondern verwirrend“, sagt er. „Die Innovation meines Spiels steckt stattdessen in der strategischen Tiefe.“Man ist – nach ersten Partien – geneigt, ihm wohlwollend zuzustimmen.
Die Fußstapfen, in die sein Spiel tritt, sind jedenfalls groß.
Es nimmt Anleihen bei Space Realms, bei dem die Spieler Raumschiffe gegeneinander in die Schlacht führen. Und auch an den Spieleklassiker Dominion, der das Deckbauen 2008 erstmals einem MainstreamPublikum zugänglich machte, fühlt man sich erinnert.
Attacken und Finten
Wie aber bauen die Duellanten nun ihre Decks? Erst im Spielverlauf wählen sie nach und nach bis zu fünf Edelsteine, mit denen sie ihre Waffe sockeln wollen.
Je nach gewählten Farben können sie nun aus einer Auslage Karten ziehen, die ihr Deck stärken und wachsen lassen. Unterschiedliche Kartentypen verbessern mit Modifikatoren die eigenen Angriffe oder bauen die Verteidigungslinien aus.
Eine Stärke des Spiels: Da sich die Spieler erst in seinem Verlauf auf die Farben festleKarten gen, aus denen sie ihr Deck bauen, gleicht kein Spiel dem anderen. „Es bleibt lange flexibel, man spielt jedes Mal eine andere Kombo“, sagt Estragon. Doch Vorsicht: Wer sich zu spät entscheidet, hinkt dem Kontrahenten hinterher, der vielleicht schon längst zu seiner Strategie gefunden hat.
In Kampfphasen treten die Duellanten nun gegeneinander an. Angriffskarten prallen auf Verteidigungslinien. „Kleine und große Attacken, Finten und Zweikämpfe. Ich finde, gute Deckbuilding-Spiele benötigen Interaktion“, sagt Estragon. (Das sei, sagt er, einer der Unterschiede zum EngineBuilding: „Oft spielen da alle nur nebeneinander her.“Wie wahr.)
Fazit: Dass hier ein Künstler am Werk war, merkt man dem Spiel an. „Karten sind ein spannendes Storytelling-Tool“, sagt er. Stimmt: Geschichte, Mechanik und Ästhetik der
(die Illustrationen, 80 Aquarellbilder, stammen vom Autor selbst) fügen sich tadellos ineinander.
Profis finden sehr rasch ins Spiel; aber auch für Einsteiger sei es dank der schlanken Regeln und der reduzierten Rundenstruktur gut geeignet, beschwört der Autor. Die Kartentexte gibt es derzeit nur auf Englisch („Das passt besser in diese Welt“), sie sind aber gut verständlich.
Wachsendes Universum
Übrigens: Das Universum der Gemwielders soll in Bälde anwachsen. Estragon schreibt an einer Novelle, auch Erweiterungen des Core Game sind geplant. Definitiv eine schöne Alternative zur Kommerz-Maschinerie großer Verlage! Erhältlich ist das Spiel auf gemwielders.com und im gut sortierten Wiener Spiele-Shop Siren Games (16., Friedmanngasse 13).