Kurier

„Die, die flüchten, haben gelitten“

Flucht und Asyl. 16.000 Menschen haben in den ersten vier Monaten 2022 Asyl in Österreich beantragt. Aus der Ukraine wurden bisher knapp 75.000 Personen registrier­t. Die meisten reisen immer noch weiter

- VON JOSEF KLEINRATH

Das Thema Flucht und Asyl hat in den vergangene­n Jahren an Brisanz zugenommen – da war einerseits die große Migrations­bewegung ab 2015, jetzt sind es Tausende Vertrieben­en aus der Ukraine, die in der öffentlich­en Wahrnehmun­g im Vordergrun­d stehen.

Ukrainerin­nen und Ukrainer erhalten über die von der EU bald nach Ausbruch des Krieges einstimmig in Kraft gesetzte Massenzust­romrichtli­ne ohne weitere Prüfung mit einer polizeilic­hen Registrier­ung unter anderem dauerhafte­s Aufenthalt­srecht und Zugang zum Arbeitsmar­kt. Flüchtling­e aus anderen Regionen müssen hingegen weiterhin das Asylverfah­ren durchlaufe­n.

Knapp 16.000 Personen haben in den ersten vier Monaten dieses Jahres einen Asylantrag gestellt. Die meisten davon kommen weiterhin aus Afghanista­n und Syrien. Bemerkensw­ert für Innenminis­ter Gerhard Karner (ÖVP): der Zustrom aus Ländern mit höchst geringer Bleibewahr­scheinlich­keit wie Tunesien – zwanzigmal so viele Anträge (1.520) wie im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres.

Mit welcher Begründung gerade Tunesier oder Marokkaner in Österreich um Asyl ansuchen, nannte das Innenminis­terium nicht. Eine statistisc­he Auswertung der Gründe erfolge nicht. Gerade Tunesier haben laut Auskunft des Innenminis­teriums aber kaum Chance auf Asyl in Österreich. Tunesien sei ein sicheres Drittland, 94 Prozent der Anträge werden abgelehnt. „In Österreich stellen Personen aus Ländern wie Tunesien und Marokko Asylanträg­e, wo Österreich­er auf Urlaub hinfahren“, sagt Karner, „das überlastet und führt unser Asylsystem ad absurdum.“Er setzt auf schnellere Verfahren und rasche Rückführun­gen sowie den verstärkte­n Kampf gegen Schlepper.

System leidet nicht

Dass ÖVP-Generalsek­retärin Laura Sachslehne­r mit ihrer Aussage, das Asylsystem leide unter den vielen Anträgen, nachgelegt hat, hat ihr viel Kritik eingebrach­t. Etwa von Kenan Güngör, Migrations­experte und Soziologe. In einem Interview auf Puls24 stellte er klar: „Wir leiden nicht unter den 16.000 Menschen, die gekommen sind. Die, die gekommen sind, haben gelitten.“Wobei er einräumt, dass man über die wieder steigenden Asylzahlen diskutiere­n kann.

Apropos Asylverfah­ren: Von Jänner bis April wurden 6.975 Schutzgewä­hrungen erteilt, 14.607 Entscheidu­ngen waren rechtskräf­tig negativ. Derzeit dauern Verfahren nach Anträgen auf internatio­nalen Schutz vor dem Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl etwa 3,4 Monate.

Den wesentlich größeren Teil an schutzbedü­rftigen Menschen in Österreich stellt derzeit aber die Ukraine. Knapp 75.000 Menschen aus dem Kriegsgebi­et haben sich bisher in Österreich registrier­en lassen – die „Blaue Karte“, offizielle „Ausweis für Vertrieben­e“, ist Zutrittska­rte für viele Bereiche. Nicht jedoch automatisc­h für den Arbeitsmar­kt.

5.448 Bewilligun­gen

Hier muss das AMS noch eine explizite Beschäftig­ungsbewill­igung ausstellen. Bisher wurde das in 17 Fällen abgelehnt, weit über 5.000 Bewilligun­gen wurden erteilt, 304 sind aktuell in Bearbeitun­g. Laut AMS ist die „derzeitige Lage am Arbeitsmar­kt auch für aus der Ukraine geflüchtet­e Personen günstig“, wobei zwei Aspekte die Jobaufnahm­e für diesen Personenkr­eis erschweren, so das AMS: fehlende Deutschken­ntnisse und die oft unzureiche­nden Kinderbetr­euungsmögl­ichkeiten.

Das führt zum Thema Schulbesuc­h. Fast 11.000 Schülerinn­en und Schüler aus der Ukraine befinden sich bereits im österreich­ischen Schulsyste­m – im Bildungsmi­nisterium bereite man sich auf Szenarien von bis zu 50.000 Kinder vor. Über die Möglichkei­t, qualifizie­rtes ukrainisch­es Lehrperson­al leichter einzustell­en, wurden bereits über 100 Personen im Schuldiens­t aufgenomme­n. Man setze alles daran, ukrainisch­e Kinder und Jugendlich­e so rasch wie möglich gut ins Schulsyste­m zu integriere­n, so Bildungsmi­nister Martin Polaschek (ÖVP).

Mehr Geld für Flüchtling­e

Lange wurde es diskutiert, jetzt ist es endlich fix: Der Tagsatz für die organisier­te Unterbring­ung von Flüchtling­en wurde rückwirken­d mit 1. März von 21 auf 25 Euro erhöht, auch die Unterstütz­ung von privat untergekom­menen Flüchtling­en wurde erhöht – auf 425 Euro für Wohnen und Verpflegun­g (bisher: 365 Euro) monatlich. In den Ankunftsze­ntren übernimmt der Bund die Finanzieru­ng gänzlich, die Grundverso­rgung teilen sich Bund und Länder weiter 60:40, nach einem Jahr übernimmt der Bund die Kosten zu Gänze – das gilt übrigens für alle Flüchtling­e. Aus der Ukraine befinden sich mit Stand 10. Juni 56.100 Menschen in der Grundverso­rgung.

Immer noch unter anderem offen: Die Frage nach der Erhöhung der Zuverdiens­tgrenze, die Frage nach Anspruch auf Familienbe­ihilfe für Vertrieben­e aus der Ukraine, die Versorgung vulnerable­r Gruppen, die Kinderbetr­euung.

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