Esoterikkurs für Anfänger, aber mit einer echten Ziege
„Einstein on the Beach“von Philip Glass bei den Wiener Festwochen im Museumsquartier
Kritik. Was verbindet ein Festival wie das Nova Rock mit den Wiener Festwochen? Auf den ersten Blick nicht viel, bei näherer Betrachtung einiges. Denn Nova Rock bedeutet Gatsch, Matsch, Schlamm, Regen, Saharastaub und zielt mit musikalischer Untermalung vor allem auf das kollektive „Wir-Gefühl“ab.
Nur wenig anders sind die Wiener Festwochen. Hier gibt es zwar keinen Gatsch, Matsch, Schlamm (okay regnen kann es außerhalb der Spielstätten auch) oder Saharastaub, die Intention ist jedoch eine ähnliche: Es geht auch hier um das „Wir-Gefühl“. Besonders bei einem Klassiker wie „Einstein on the Beach“, mit dem der Komponist Philip Glass und der Regisseur
Robert Wilson 1976 die „Anti-Oper“schlechthin ersonnen haben. Es gibt keine narrative Handlung, Einstein (er war ein passionierter Violinist) kommt nur in Form von Geigen-Soli vor, es gibt keinen Strand und auch sonst nichts, an dem man dieses Werk festmachen könnte.
Das „Wir-Gefühl“
Außer eben an diesem – je nach Aufführung – vier- bis fünfstündigen, pausenlosen „Wir-Gefühl“. Soll heißen: Begeben wir uns gemeinsam in Trance, hören wir gemeinsam die immer gleichen Tonfolgen und Töne, die sich permanent wiederholenden Vokalisen, lassen wir uns somit fallen in eine Welt, die alles sein kann, nichts sein muss.
Dies war auch die Intention von Regisseurin Susanne Kennedy und Bühnenbildner Markus Selg, die in der Halle E des Museumsquartiers eine bunte, sehr psychedelische, begehbare Landschaft ersonnen haben, die zwischen indischen Mythen (da lässt Glass’ Oper „Satyagraha“grüßen) und ägyptischen Ritualen (hier kommt die Oper „Akhnaten“ins Spiel) changiert.
Das Publikum soll sich auf der permanent drehenden Bühne in Trance begeben. Man darf sitzen, wo man will, und kommen und gehen, wann man will. Ein schöner Gedanke, der manche Besucher zur Meditation (oder zum Schlaf) anregt, während andere nach den „freigewählten Pausen“fernbleiben.
Der szenische Höhepunkt ist der Auftritt einer echten (sehr süßen) Ziege; musikalisch plätschert dieser Esoterikkurs für Anfänger so dahin.
Dabei leitet Dirigent André de Ridder das Phönix Ensemble tapfer durch alle Wiederholungen, auch die Basler Madrigalisten verrichten ihre Arbeit souverän. Das SopranSolo ist bei Álfheiður Erla Guðmundsdóttir gut aufgehoben; Diamanda Dramm als Solo-Geigerin gefällt.
Und dennoch kommt dieses konstruierte Musikritual trotz Neonfarben und Mascara nicht auf Touren. Nach vier Stunden aber hat man immerhin dieses „Wir haben es überstanden Gefühl“in sich.
Auch fein.
KURIER-Wertung: ★★⯪★★