Kurier

Wo Schatten da auch Sonne

- VON KLAUS ECKEL

Ich bin seit zwei Jahren Vegetarier. Mit einer Ausnahme. Einmal im Jahr esse ich ein Paprikahen­dl. Eine ganz seltene Form des Vegetarism­us. Ein Bekannter von mir ernährt sich ebenfalls fleischlos. Nur einmal im Jahr isst er eine Salamipizz­a. Wir treffen uns immer im Jänner zu Huhn & Pizza und leben unsere Inkonseque­nz aus. Danach ist der Fleischtan­k wieder für ein Jahr aufgefüllt.

Der große Nachteil des Vegetarism­us ist, dass dieser bei manchen Menschen einen Rechtferti­gungsdruck auslöst. „Ich achte beim Fleisch immer auf Bio!“ist die häufigste Bemerkung. Ich erwarte das nicht. Es gibt Paprikahen­dlVegetari­er ohne Missionier­ungszwang. In meiner Kindheit war ich eine Zeit lang Ministrant. Je häufiger der Priester „Und ich sage euch“von der Kanzel rief, um so weniger Gläubige besetzten die Kirchenbän­ke. Irgendwann beendete der von Frust gezeichnet­e Priester die Messe mit den Worten: „Glaubt doch, was ihr wollt!“.

In der darauffolg­enden Woche war die Kirche wieder voll. Irgendein Teil in unserem Kopf wehrt sich gegen betreutes Denken.

Manchmal ist diese Gedankenfr­eiheit jedoch auch eine Belastung. Mein Gehirn spuckt mir ständig Standpunkt­e aus. Zum Elektroaut­o, zur Inflation, sogar zum Magenbakte­rium Helicobact­er pylori. Ahnungslos­igkeit schützt nicht vor Meinung. Deswegen bin ich vermutlich auch kein aktives Mitglied auf Twitter. Ich will mich nicht in zehn Jahren durch das Archiv meiner Irrtümer scrollen. Die verdränge ich lieber. Eine Schlagzeil­e in einer deutschen Zeitung machte mir das wieder deutlich. „Grüner Umweltmini­ster feiert Erdgasabko­mmen mit Katar“. Diese Meldung strotzt vor Widersprüc­hen. Oder anders gesagt, auch ein deutscher, grüner Umweltmini­ster hat sein Paprikahen­dl.

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