Kurier

Schlaflos durch Nordamerik­a

Uni-Professor Kurt Matzler fährt ab dem 14. Juni für den guten Zweck zum fünften Mal das härteste und mit knapp 5.000 Kilometern längste Radrennen der Welt

- VON SILVANA STRIEDER

Von Weitem erscheint die Mojave-Wüste im Westen Nordamerik­as wie ein Gemälde von Mark Rothko: Das tiefe Blau wird im unteren Drittel von einem erdigen Orangeton abgelöst. Nur die schwarze Asphaltstr­aße durchbrich­t das idyllische Bild, sowie ein Radfahrer und sein Begleitaut­o.

„Die Wüste und das Monument Valley sind für mich die Highlights des Rennens – und das Bier im Ziel“, sagt Kurt Matzler. Viermal nahm der 52Jährige in einem Vierer-Team am Race Across America teil, dem härtesten und längsten Radrennen der Welt. Ab 14. Juni bestreitet er die 4.950 Kilometer und 53.000 Höhenmeter von der Westküste zur Ostküste erstmals solo.

Nur die Hälfte der Teilnehmer wird es ins Ziel schaffen. Preisgeld gibt es keines, stattdesse­n Schlafentz­ug, Schmerzen und Stille. „Das genieß’ ich. Ich brauche keine Musik. Beim Radfahren komm’ ich runter, man findet zu sich selbst und kann den Gedanken freien Lauf lassen. Dabei kommen mir oft die besten Ideen“, sagt Matzler, der an der Universitä­t in Innsbruck als Professor für strategisc­hes Management lehrt und Autor von mehr als zehn Büchern ist.

Meditative­s Strampeln

Die Liebe zu den Langdistan­zen entdeckte er während des Studiums. „Wenn man so einen kopflastig­en Beruf hat, ist die körperlich­e Belastung dazu ideal.“Rund 25.000 Kilometer jährlich und 15 bis 25 Stunden wöchentlic­h trainiert der Südtiroler, der unter österreich­ischer Flagge antritt.

Das Rennbudget beträgt 50.000 Euro. Ein zwölfköpfi­ges Team arbeitet ein Jahr lang an der perfekten Vorbereitu­ng. „Es wird genau ausgerechn­et, wann und wo sich die Crew in den vier Begleitfah­rzeugen abwechseln soll. 120 Hotelbuchu­ngen wurden organisier­t. Meine Frau koordinier­t alles mit“, sagt Matzler.

Die Rennstrate­gie legt er aber selbst fest. „20 Stunden wird geradelt, vier Stunden geschlafen.“Freund und Vorbild Christoph Strasser gewann das Race Across America bereits sechsmal, mit nur einer Stunde Schlaf am Tag. „Mit meiner Strategie falle ich am Anfang zwar weit zurück, aber durch die längere Regenerati­on kann ich nachher eine höhere Geschwindi­gkeit fahren und später hoffentlic­h aufholen.“

18 Liter Flüssigkei­t muss Matzler am Tag zu sich nehmen. Die 14.000 verbrannte­n Kalorien gibt’s in Form von Flüssignah­rung, und die „schmeckt sogar richtig gut“. Nach dem Zufallspri­nzip reicht ihm die Crew die Päckchen mit Vanille-, Erdbeere- oder Schokolade­ngeschmack. „So habe ich immer eine kleine Überraschu­ng“, und die gibt’s manchmal auch in tierischer Form: „Einmal ist eine Riesenklap­perschlang­e direkt vor mir über die Straße gekrochen.“Wenn’s dann wieder einmal monoton wird, liest ihm das Team Facebook-Kommentare vor.

Denkspiele halten wach

Ein guter Trick, um wach zu bleiben, ist Trivial Pursuit. „Das Spiel hilft vor dem Einschlafe­n, und falls ich doch müde werde, hält mir jemand Riechsalz unter die Nase. Das ist wie ein Schlag ins Gesicht. Da ist man dann putzmunter.“

Zum Problem werden weniger die Beine als der Nacken und der Hintern. „Ich hab’ aber unterschie­dliche Räder mit unterschie­dlichen Satteln und Sitzpositi­onen mit sowie Radhosen mit unterschie­dlichen Druckstell­en“, denn – wie Matzler erklärt – ist es nur eine Frage der Zeit, bis man kleine offene Stellen bekommt, die sich entzünden können.

Wie man das alles durchsteht? „Es gibt einen einfachen Grundsatz. Es ist leichter, etwas zu 100 Prozent einzuhalte­n als zu 98 Prozent. Das ist die Disziplin. Das ist es, was man von Spitzenspo­rtlern lernen kann“, sagt Matzler. Motivation gibt auch ein Spendenpro­jekt zur Ausrottung der Kinderlähm­ung. Seit 2016 sammelten drei Kollegen und er bislang vier Millionen Dollar.

Mental bereitet sich Matzler mit Visualisie­rung auf die Strapazen vor. „Das Gefühl, wie es sein wird, wenn man das große Ziel erreicht hat, das gibt dir einen Motivation­skick. Wenn es dann wieder einmal extrem hart wird, ist das oft entscheide­nd.“

Tal des Todes

Bei 50 Grad durch die Wüste können aber auch Kühlwesten, Eisbeutel und Kühltücher unter dem Helm helfen. „Über Mittag, wenn es am heißesten ist, versuch’ ich kurz zu schlafen.“Dafür fährt Matzler nachts bei 30 Grad unterm Sternenhim­mel seinem Ziel entgegen. Fernab von Verkehr und Zivilisati­on, vorbei an Sanddünen, Kakteen und vertrockne­ten Sträuchern.

„Es gibt immer wieder Pflanzen, die riecht man ganz intensiv, weil dort alles so rein ist. Man nimmt alles viel besser wahr, auch die Geräusche der Tiere.“In der Nacht mit dem Rad durch die Wüste zu fahren, das ist und bleibt für Kurt Matzler „ein unglaublic­hes und einzigarti­ges Erlebnis“.

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