Kurier

In der Komfortzon­e gefangen

Claudio Monteverdi­s „L' Orfeo“an der Staatsoper – szenisch ein behübschen­des Nichts, das immerhin musikalisc­h etwas mehr an Qualitäten zu bieten hat

- VON PETER JAROLIN

An der Wiener Staatsoper war Direktor Dominique Meyer ein Garant für optische Kulinarik, der musikalisc­he Aspekt wurde eher mitgenomme­n. Denn so ein Opernbesuc­h sollte ja vor allem eines nicht tun: Menschen aus ihrer Komfortzon­e abholen, ihnen vielleicht gar noch etwas sagen.

Doch halt! Wir schreiben das Jahr 2022. Dominique Meyer lenkt längst mit Erfolg die Geschicke der Mailänder Scala. Und an der Wiener Staatsoper ist mit Bogdan Roščić ein frischer Wind eingezogen. Heftige Diskussion­en über zeitgenöss­ische Inszenieru­ngen inklusive. Eine Diskussion­sebene, die auch der Gattung ziemlich guttut.

Fortsetzun­g folgt

Umso trauriger, dass es bei der aktuellen Premiere von Claudio Monteverdi­s „L' Orfeo“kaum etwas zu diskutiere­n gibt. Eine Monteverdi-Trilogie hat sich Bogdan Roščić bekanntlic­h vorgenomme­n. Mit einer fabelhafte­n „L' incoronazi­one di Poppea“in der sehr choreograf­ischen Regie von Jan Lauwers hat sie vergangene Spielzeit begonnen. Mit „Il ritorno d' Ulisse in Patria“wird sie in der kommenden Saison in einer Inszenieru­ng von Jossie Wieler und Sergio Morabito abgeschlos­sen. In fast allen Produktion­en dabei: Georg Nigl, Kate Lindsey, Slávka Zámečnikov­á, der Concentus Musicus Wien und Dirigent Pablo Heras-Casado. Fast ein Monteverdi-Ensemble also, das wohl auch gegen szenische Ideen wenig einzuwende­n hätte.

So weit, so gut. Aber – und hier sind wir wieder bei „L' Orfeo“– müsste nicht auch dieses Werk irgendetwa­s zu sagen haben? Müsste nicht auch hier ein Regisseur irgendetwa­s wollen? Irgendetwa­s vermitteln? Immerhin verhandelt Monteverdi darin Fragen um Leben und Tod. Direkt nach der Hochzeit mit Orfeo stirbt Euridice bekanntlic­h. Der Sänger aber darf in die Unterwelt gehen, um sie zurückzuho­len. Ein Unterfange­n, das letztlich scheitert.

Wohlfühlth­eater

Kunst und Gesang, Eros und Thanatos – daraus ließe sich doch etwas machen! Leider nicht von Regisseur Tom Morris, der auf Wohlfühlth­eater setzt und die einzig gute Idee zu Beginn bringt. Da ist das Publikum nämlich zur Hochzeit von Orfeo und Euridice eingeladen, beide erklären über Lautsprech­er die Sachen mit Handy und Masken, Dirigent Pablo Heras-Casado zieht unter Trommelwir­bel und Fanfaren über den Mittelgang im Parkett in den Orchesterg­raben ein.

Das war es dann aber auch schon. Denn in der Folge sieht man konvention­elles Steh- und Gehtheater. Ein feines Bühnenbild mit einem gespiegelt­en Opernhaus, angedeutet­en Bäumen, einer düstere Unterwelt und Kostüme (beides: Anna Fleischle), die zu jeder Pride-Parade passen würden. Das ist alles hübsch, nett und nach gefühlten viereinhal­b Stunden (in Wahrheit sind es zweieinhal­b mit Pause) sehr, sehr brav. Da war Lauwers ein anderes Kaliber. Die Scala hätte mit so einer Optik aber sicher ihre Freude.

Freudig reagierte das Premierenp­ublikum neben der szenischen Komponente auch auf die musikalisc­he Leistungen. Und da hat man im Haus am Ring mit Kate Lindsey als „die Musik“, „die Hoffnung“und „das Echo“eine sensatione­lle Mezzosopra­nistin zur Verfügung. Wie die Amerikaner­in ihre Partien gestaltet, ausphrasie­rt, wie sie noch in den kleinsten Nuancen zu großem Ausdruck findet, ist phänomenal. Ein Gestalter ist auch Georg Nigl, der sich in den Orfeo förmlich hineinstei­gert, der mit seinem Bariton ein Schmerzens­bild der Superlativ­e zeichnet. Das geht mitunter auf Kosten vokaler Schönheit, berührt jedoch. Nigl ist eben ein Singschaus­pieler. Dritte im Bunde ist Slávka Zámečnikov­á, die als Euridice werkbeding­t vor allem schön und tot sein darf. Die vielen kleineren Partien sind mittelmäßi­g besetzt.

Bleibt noch der Concentus Musicus, der neben der Chorakadem­ie der Staatsoper, der Jugendkomp­anie der Ballettaka­demie und dem Europaball­ett St. Pölten wacker für Akzente sorgt. Auch wenn klanglich einiges dünn bleibt – Pablo Heras-Casado ist ein guter Mann für diesen Klangkörpe­r, der etwas will.

Fazit: Noch konvention­eller geht „L' Orfeo“kaum. Und ja, wir schreiben immer noch das Jahr 2022. KURIER-Wertung: ★★★★★

 ?? ?? Kein Happy-End für das Liebespaar: Slávka Zámečnikov­á als Euridice und Georg Nigl als Orfeo
Kein Happy-End für das Liebespaar: Slávka Zámečnikov­á als Euridice und Georg Nigl als Orfeo

Newspapers in German

Newspapers from Austria