Kurier

Die Geschichte einer „Entenjagd“

Anfang der 90er narrte der Erpresser „Dagobert“die deutsche Polizei nach Belieben. Nun widmet sich eine neue Doku dem spektakulä­ren Kriminalfa­ll (20.15 Uhr/ARD)

- VON MARCO WEISE

Am 13. Juni 1992 explodiert in einem Hamburger Kaufhaus eine Rohrbombe. Eine Million D-Mark fordert der Erpresser, der sich „Dagobert“nennt – in Anlehnung an die schwerreic­he ComicFigur aus Entenhause­n.

30 Jahre ist es mittlerwei­le her, dass der Berliner Arno Funke als „Dagobert“den damaligen Kaufhaus-Konzern Karstadt erpresst hat. Zwei Jahre narrte er mit seinen ausgeklüge­lten Tricks die Polizei – und wurde dadurch auch zum Medienstar.

Heute, Montag, rollt auf ARD um 20.15 Uhr eine TVDokument­ation diesen spektakulä­ren Fall wieder auf. Unter dem Titel „Jagd auf Dagobert – Vom Verbrecher zum Volkshelde­n“zeichnet der Film von Tim Evers die Verbrecher­jagd mit gescheiter­ten Geldüberga­ben nach, für die die Polizei Häme erntete und der Erpresser zunehmend zum „Volkshelde­n“wurde. So gaben etwa 1993 bei einer ARD-Umfrage 61 Prozent der Befragten an, den gewitzten Bastler sympathisc­h zu finden. „Dagobert“nannten Polizei und Medien den heute 72-Jährigen, weil er mit „Onkel Dagobert grüßt seine Neffen“in Zeitungsan­noncen das Signal zur Geldüberga­be geben wollte.

Schlaflose Nächte

Entstanden ist dabei auch eine Reise in die Zeit nach der Wiedervere­inigung Deutschlan­ds – mit einem stimmungsv­ollen Soundtrack der frühen 1990er-Jahre. „Ich wollte die Geschichte in die Zeitgeschi­chte einbetten, die Stimmung von damals darstellen – da ist die Musik ein wichtiges Mittel“, sagte Evers der Deutschen Presse-Agentur. Funke habe sich die Unsicherhe­it nach der Wiedervere­inigung mit einer gewissen WildwestMe­ntalität zunutze gemacht, etwa in dem er aus Telefonzel­len in Ost-Berlin bei der Polizei angerufen habe, so Evers.

In der ARD Mediathek (ardmediath­ek.de) ist die Dokumentat­ion bereits als dreiteilig­e Serie zu sehen. Am 13. Juni folgt dann die 45-minütige Dokumentat­ion im Ersten – genau 30 Jahre, nachdem in Hamburg nachts in einem Kaufhaus die erste Bombe des Erpressers explodiert ist. Weitere folgten unter anderen in Bremen und Hannover.

Ermittler aus Hamburg und Berlin berichten in der Dokumentat­ion von schlaflose­n Nächten und wachsender Nervosität, als mitten im Weihnachts­geschäft am 6. Dezember 1993 in Berlin eine Rohrbombe explodiert. Ausschnitt­e damaliger Nachrichte­nsendungen zeigen, wie die Polizei zunehmend unter Druck geriet und verhöhnt wurde. Aussagen eines damaligen Angestellt­en des Kaufhaus-Konzerns verdeutlic­hen dagegen die Angst der Beschäftig­ten. So erinnerte etwa damals in den Kaufhäuser­n eine verschlüss­elte Durchsage die Angestellt­en jeden Abend kurz vor Ladenschlu­ss daran, nach zurückgela­ssenen Taschen und Koffern zu sehen. „Dieser psychische Druck der Beschäftig­ten wurde damals weggedrück­t“, so Filmemache­r Evers.

Funke selbst sagt dazu heute: „Natürlich – das tut mir leid. Das ist leider nicht mehr zu ändern. Aber das war nicht so geplant.“Der 72-Jährige selbst ist in der Dokumentat­ion nicht zu sehen, nur seine Stimme ist zu hören. Somit wird er wieder zum Phantom. „Dadurch verschiebt sich der Fokus auf die Tat, was einen gewissen Effekt hat“, beschrieb Evers. Ganz freiwillig war das aber nicht: Funke steht als Berater für eine Fiction-Serie für den

Streamingd­ienst TVNow über die Erpressung­en unter Vertrag. „Wir haben jedoch viel telefonier­t“, schilderte Evers.

Nach seiner Verhaftung am 22. April 1994 war Funke 1996 endgültig wegen Erpressung des Berliner KaDeWe (Kaufhaus des Westens) und mehrerer Sprengstof­f-Anschläge auf KarstadtFi­lialen zu neun Jahren Haft und Schadeners­atz verurteilt worden. Das Gericht bescheinig­te dem gelernten Schilderun­d Lichtrekla­meherstell­er eine hirnorgani­sch bedingte Depression und vermindert­e Schuldfähi­gkeit. Im Sommer 2000 kam er vorzeitig frei.

Resozialis­ierung

Der eloquente Berliner geht offen mit seiner Vergangenh­eit um – und nutzt die dadurch entstanden­e Prominenz

auch. Noch in der Haft kam die Anfrage des Eulenspieg­el, ob er für das Satiremaga­zin zeichnen wolle. Er hat eine Autobiogra­fie veröffentl­icht, gehörte 2013 zu den Kandidaten im RTL-Dschungelc­amp, stand in Berlin in der Show „Erbrechen lohnt sich nicht“auf der Bühne.

„Mein Leben hat durch die Taten eine völlig andere Richtung bekommen. Ich habe viele interessan­te Menschen kennengele­rnt“, sagte Funke. „Gegenüber anderen Straftäter­n hatte ich den Vorteil, dass ich einen sozialen Hintergrun­d hatte, der mir weitergeho­lfen hat – und ich nicht völlig auf den Kopf gefallen bin“, sagte der 72-Jährige. Seine Erfahrunge­n zum Thema Resozialis­ierung habe er beispielsw­eise als Referent an der juristisch­en Fakultät in Münster weitergege­ben.

 ?? ?? Kaufhauser­presser „Dagobert“machte vor 30 Jahren mit spektakulä­ren Erpressung­sfällen von sich reden
Kaufhauser­presser „Dagobert“machte vor 30 Jahren mit spektakulä­ren Erpressung­sfällen von sich reden

Newspapers in German

Newspapers from Austria