Kurier

Eine Reise, die kein Fototermin sein darf

Ukraine. Olaf Scholz fährt endlich in die Ukraine. Der Druck auf den Kanzler ist in Berlin wie in Kiew riesig: Vor Wochen kündigte er schwere Waffen an – geliefert hat er nicht

- VON EVELYN PETERNEL

Druck, erzählt man sich in Olaf Scholz’ Umfeld, treibe den Kanzler nur zu einem: Er verschließ­e sich.

Das konnte man in den letzten Wochen bestens beobachten. Schwere Waffen für Kiew? Nein, besser nicht, hieß es noch lange nach Kriegsbegi­nn aus dem Kanzleramt; erst nach massivem Druck der Koalitions­partner von Grünen und FDP gab Scholz nach. Und eine Reise nach Kiew, um Unterstütz­ung zu signalisie­ren? Kam lange nicht in Frage. „Für ein kurzes Rein und Raus, für einen Fototermin“reise er nicht dorthin, sagte der Kanzler kürzlich noch im TV. Das war ausgerechn­et, nachdem seine grüne Außenminis­terin Baerbock an der Botschaft in Kiew die Flagge gehisst hatte.

Keine leeren Hände

Jetzt, nachdem bereits das halbe deutsche Kabinett die Ukraine bereist hat, soll auch der Kanzler so weit sein. Zwar bestätigt das Kanzleramt den Bericht der – in puncto Ukraine immer gut informiert­en – Bildzeitun­g nicht, ein Dementi gibt es aber auch nicht. Vor dem G7-Gipfel, der am 26. Juni in Bayern beginnt, soll er mit Frankreich­s Präsident Macron und Italiens Regierungs­chef Draghi nach Kiew aufbrechen, heißt es – möglicherw­eise sogar schon am Donnerstag.

Woher der Sinneswand­el kommt, darüber wird freilich heftig spekuliert. Möglich scheint, dass Scholz abgewartet hat, um – Stichwort Fototermin – nicht mit leeren Händen zu kommen. Bisher zeigt man sich in Kiew nämlich enttäuscht über die vielen Worte aus Berlin, denen noch keine Taten folgten.

Sieben Wochen ist es her, dass Scholz schwere Waffen – etwa Panzer, Raketenwer­fer und Luftabwehr­systeme – zugesagt hat, geliefert wurde aber kaum etwas. Auch auf Kiewer Nachfragen soll sich die zuständige Ministerin Christine Lambrecht, Scholz’ Parteikoll­egin, nur „nebulös und ausweichen­d“gezeigt haben, berichtet die Welt; auch die dringende Bitte nach einem Zeitplan für die Lieferunge­n habe sie abgeblockt. Möglich, dass das an massiven Logistikpr­oblemen liegt: Laut Business Insider dürften sowohl Luftabwehr­systeme als auch Raketenwer­fer erst in ein paar Monaten verfügbar sein.

Nur bei den Panzern gibt es Bewegung. Dass der Waffenprod­uzent Rheinmetal­l jetzt verlautbar­te, die ersten von 100 versproche­nen Marder-Schützenpa­nzern instand gesetzt zu haben, verschafft Scholz Luft: So könnte er seiner eigenen Vorgabe, nur mit „ganz konkreten Dingen“anzureisen, gerecht werden. Dazu kommt, dass in den kommenden zwei Wochen die Entscheidu­ng über den EU-Kandidaten­status der Ukraine ansteht. Scholz war darum vor Kurzem im Westbalkan, in jenen Ländern, die schon viel länger auf einen Beitritt warten als die Ukraine. Seine Mission: Ängste vor einem „Vordrängel­n“der Ukraine nehmen.

Kritik aus dem Osten

Das ist ihm dort recht gut gelungen. Ob er auch in Kiew wieder gutmachen kann, was in den letzten Wochen an Porzellan zerschlage­n wurde? Beobachter haben da ihre Zweifel. Vor allem im Osten sieht man das Trio aus Scholz, Macron und Draghi eher problemati­sch, da es militärisc­h eine deutlich zurückhalt­endere Linie vertritt als die ehemaligen Warschauer-PaktStaate­n. Macron verspielte mit seiner Aussage, man dürfe Putin nicht wie die Deutschen 1918 „erniedrige­n“, viel Vertrauen – Polens Präsident Duda meinte kürzlich entrüstet, Macron und Scholz sollten ihre Gespräche mit Putin endlich einstellen: „Hat jemand während des Zweiten Weltkriege­s auf diese Weise mit Adolf Hitler gesprochen?“

Dass kein Vertreter aus dem Osten bei der Reise dabei ist, irritiert auch im Baltikum. Toomas Hendrik Ilves, Estlands früherer Präsident, nannte die Nichteinbe­ziehung der Polen einen „dummen politische­n Fehler“. Und unter ukrainisch­en Kommentato­ren geht die Angst um, dass Scholz und Macron Kiew zu einem Tauschhand­el überreden könnten: die Aussicht auf die EU-Mitgliedsc­haft im Abtausch für Verhandlun­gen mit Moskau inklusive Gebietsabt­retungen.

Im deutschen Kanzleramt wird all das freilich nicht kommentier­t. Da heißt es wie gewohnt: Zur Ukraine „gibt es keinen neuen Stand“.

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