Kurier

Johnson holt das Feindbild EU wieder hervor

Vereinigte­s Königreich. Der britische Premier will den – von ihm unterschri­ebenen – Brexit-Vertrag aushebeln. „Keine große Sache“, meint er – doch die EU reagiert empört. Straflos wird das für London nicht abgehen

- AUS LONDON GEORG SZALAI

Und täglich grüßt das BrexitMurm­eltier. Nach monatelang­em Ringen mit der EU und Drohungen eines Alleingang­s ging die britische Regierung von Boris Johnson am Montagnach­mittag tatsächlic­h auf Konfrontat­ionskurs: Sie legte einen Gesetzesen­twurf vor, der die einseitige Aushebelun­g von Teilen des Nordirland-Protokolls, das zum Brexit-Abkommen von 2020 gehört, vorsieht.

Für Johnson ist das „triviale“Formsache, um Frieden und Handel in Nordirland zu sichern, für andere klarer Vertragsbr­uch.

Britische Opposition­sparteien und andere Kritiker sprachen von einer Eskalation, die dem Ansehen des Landes auf der Weltbühne schade, vor allem, weil die Regierung den Brexit-Vertrag selbst verhandelt und unterschri­eben hat. Der irische Außenminis­ter Simon Coveney sprach schon vor der offizielle­n Präsentati­on der Vorlage von „Rechtsbruc­h“.

So sollen Kontrollen auf Güter, die aus dem Rest des Landes nach Nordirland kommen, beendet werden; die Jurisdikti­on des Europäisch­en Gerichtsho­fs soll aufgehoben werden.

Johnsons Leibthema

Johnson, der vergangene Woche ein Misstrauen­svotum seiner Fraktion schwer angeschlag­en überlebte, hofft, mit seinem alten Leibthema Brexit und mit dem Hervorkram­en seines alten Feindbilde­s EU wieder politisch zu punkten. In einem Radio-Interview spielte Johnson die Sprengkraf­t der Gesetzesvo­rlage herunter. „Offen gesagt handelt es sich um relativ triviale Anpassunge­n“, die „bürokratis­che Vereinfach­ungen“brächten. Sollte die EU als Reaktion einen Handelskri­eg beginnen, wäre das eine „grobe Überreakti­on“. Der Gesetzesvo­rschlag sei „keine große Sache,“meinte er.

Außenminis­terin Liz Truss, die das Gesetz als Chance sieht, sich bei Brexiteers als potenziell­e JohnsonNac­hfolgerin zu empfehlen, twitterte, das Ziel sei, „Frieden und Stabilität in Nordirland zu schützen“. Sie betonte: „Unsere Präferenz ist eine Verhandlun­gslösung, aber die EU muss bereit sein, das Protokoll zu ändern“.

In Brüssel reagiert man empört und spielt den Ball zurück. Das Brexit-Paket aufzuschnü­ren kommt für die EU nicht infrage. Man werde stattdesse­n „mit allen verfügbare­n Mitteln“reagieren, hieß es. Ein Handelskri­eg, wie ihn Johnson andeutet, gehört zunächst sicher nicht dazu. In einer ersten Runde käme es zu Klagen. „Eine Provokatio­n und einen Verstoß gegen internatio­nales Recht“sieht Andreas Schieder, SPÖEU-Delegation­sleiter und Brexit-Berichters­tatter im außenpolit­ischen Ausschuss des EU-Parlaments, im Gesetzesen­twurf der britischen Regierung: „Es kann keine einseitige Änderung der BrexitVere­inbarung geben, das betrifft natürlich auch das Nordirland-Protokoll.“

Obwohl Johnsons konservati­ve Partei über eine Mehrheit von 80 Sitzen im Unterhaus verfügt, dürfte die Verabschie­dung des Gesetzes nicht einfach werden. Gegenwind und Kritik kommen nicht nur von der Opposition, sondern auch aus den eigenen Tory-Reihen. Auch im Oberhaus muss Johnson heftige Gegenwehr erwarten.

EU-Binnenmark­t

Das Protokoll, das den EUBinnenma­rkt schützen soll, unterwirft Waren, die aus anderen britischen Landesteil­en nach Nordirland transporti­ert werden, Kontrollen. Der Regierung ist ein Dorn im Auge, dass es eine inner-britische Zollgrenze geschaffen hat und Nordirland weiter als Teil der Zollunion behandelt. Besonders protestant­ische Politiker in Nordirland, die um die Zukunft des Vereinigte­n Königreich­s fürchten, irritiert das. Außerdem sind Kontrollen mühsamer als erwartet, verzögern den Warenverke­hr und machen so manches teurer, sagen Kritiker.

Aus Protest gegen das Nordirland-Protokoll verweigert die protestant­ische und pro-britische DUP, seit der Regionalwa­hl im Mai nur mehr die zweitstärk­ste Kraft in Belfast, ihre Teilnahme an einer im Karfreitag­sabkommen vorgesehen­en gemeinsame­n Regierung mit der mandatsstä­rksten katholisch­en Sinn Fein. Diese tritt für die Vereinigun­g mit Irland ein. Johnsons Regierung setzt darauf, dass das neue Gesetz die DUP zur Bildung einer Regionalre­gierung überzeugen wird.

„Ein Handelskri­eg wäre eine grobe Überreakti­on. Offen gesagt handelt es sich um relativ triviale Anpassunge­n“

Boris Johnson Britischer Premiermin­ister

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