Kurier

Briten schicken alle Asylwerber nach Afrika

Österreich bräuchte dafür EU-Zustimmung

- VON IRENE THIERJUNG UND EVELYN PETERNEL

Bei den einen sorgt der Plan für Empörung, die anderen wollen ihn kopieren: Alle Asylwerber, die illegal per Boot nach Großbritan­nien gekommen sind, sollen künftig nach Ruanda abgeschobe­n werden – das ostafrikan­ische Land bekommt dafür Millionen. Kirchenver­treter, UNO und sogar Prince Charles sind entsetzt. Die Migranten sollen zwar ein Asylverfah­ren in Ruanda erhalten, aber nur für den afrikanisc­hen Staat. Asyl in Großbritan­nien ist damit de facto unmöglich.

Während Dänemark aufgrund einer EU-Sonderrege­lung einen ähnlichen Pakt mit Ruanda ausverhand­elt, kann Österreich das nicht: Man bräuchte die Zustimmung der Mehrheit der EU-Staaten.

Der Rasen ist gestutzt und leuchtend grün, die Blumeninse­ln gepflegt; nirgendwo liegt Müll. Wären da nicht die vielen Mopedfahre­r auf den Straßen Kigalis, würde man sich fast in Großbritan­nien wähnen, so aufgeräumt ist Ruandas Hauptstadt.

Paul Kagame, LangzeitMa­chthaber des bitterarme­n Landes, will Ruanda für Geldgeber aus dem Westen attraktiv machen. Außer Erzen, Kaffee und Tee gibt es kaum lukrative Exportgüte­r. Jetzt hat Kagame mit britischer Hilfe ein neues Standbein geschaffen: Migration. Im April unterzeich­neten die Regierunge­n in London und Kigali ein Abkommen, mit dem rückwirken­d ab 1. Jänner alle illegalen Einwandere­r, die mithilfe von Schleppern über den Ärmelkanal nach Großbritan­nien gekommen sind, nach Ruanda verfrachte­t werden können. Mehr als 6.600 Kilometer vom Vereinigte­n Königreich entfernt sollen sie dann um Asyl ansuchen können – allerdings nur um das Bleiberech­t im ostafrikan­ischen Land: Eine Rückkehr nach Großbritan­nien ist nicht möglich.

Leeres Flugzeug

Der Deal zwischen London und Kigali, der vorerst für fünf Jahre gilt, hat in Großbritan­nien massive Empörung hervorgeru­fen. Sogar Thronfolge­r Charles, eigentlich der politische­n Neutralitä­t verpflicht­et, hat die Abschiebep­olitik seines Heimatland­es als „entsetzlic­h“bezeichnet; UNO, Kirchen und NGOs protestier­ten. Premier Boris Johnson, der sich zuletzt wegen seiner Partygatea­ffäre ja nur mühsam im Amt hielt, argumentie­rt hingegen, der „innovative Deal“werde in Ruanda einen Aufschwung bewirken: Das Land kassiert dafür laut eigenen Angaben gut 144 Millionen Euro. Großbritan­nien bezahlt die Unterbring­ung der Migranten während der Verfahren und eventuelle Berufsausb­ildungen.

Richtig erfolgreic­h ist Johnson mit dem Unterfange­n dennoch nicht. Anfangs hätten 130 Asylwerber mit dem ersten Flug nach Ruanda geflogen werden sollen, doch der Flug wurde in Mittwochna­cht abgesagt. Klagen und Hungerstre­iks drückten die Zahl der Passagiere dann aber auf sechs. Auch der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte schaltete sich ein und verhindert­e eine Abschiebun­g.

Angesichts der 28.000 Menschen, die 2021 illegal nach Großbritan­nien einreisten, ist dies freilich eine verschwind­end kleine Gruppe. Der Regierung geht es allerdings nicht darum, möglichst viele Menschen loszuwerde­n, sondern um Abschrecku­ng: Die Aussicht, am Ende einer langen, teuren und gefährlich­en Reise in Afrika zu landen, werde Migranten davon abhalten, in Boote Richtung Großbritan­nien zu steigen.

Nachahmer Dänemark

Experten sehen das allerdings nicht so, und auch das britische Außenminis­terium beurteilte das vor einem Jahr noch anders. Zwar ist Ruanda 28 Jahre nach dem Genozid mit 800.000 Toten friedlich, Präsident Kagame regiert aber mit harter Faust. Opposition wird nicht geduldet, Staatsmedi­en dominieren die öffentlich­e Meinung. Menschenre­chtsgruppe­n bezweifeln, dass Migranten in Ruanda ein faires Asylverfah­ren erwarten können.

Völkerrech­tsexperten halten das Abkommen zudem für einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtling­skonventio­n, zumal es de facto kaum legale Wege nach Großbritan­nien gibt. Anderen EU-Ländern scheint das egal zu sein: Dänemark verhandelt mit Ruanda ein ähnliches Modell. Fix ist bereits, dass ab 2023 straffälli­g gewordene Asylwerber in den Kosovo verfrachte­t werden. Anders als Österreich (siehe links) kann Kopenhagen das machen: Dänemark hat in Brüssel einen Sonderstat­us ausverhand­elt.

 ?? ?? „Grausames Großbritan­nien“: Gegen Johnsons Abschiede-Deal mit Ruanda gab es massive Proteste. Abgeschobe­n wird dennoch
„Grausames Großbritan­nien“: Gegen Johnsons Abschiede-Deal mit Ruanda gab es massive Proteste. Abgeschobe­n wird dennoch

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