Kurier

EU: Kandidaten­status für die Ukraine

EU-Beitritt. Fragen und Antworten zum möglichen Kandidaten­status

- VON INGRID STEINER-GASHI UND JOHANNES ARENDS

Am Freitag wird die EU-Kommission in Brüssel wohl die Empfehlung abgeben, dass die Ukraine den Kandidaten­status erhalten soll. Das bedeutet aber noch lange keinen EU-Beitritt. Vorerst geht es um viel Symbolik. Denn Beitrittsk­riterien wie Rechtsstaa­tlichkeit, starke Marktwirts­chaft oder keine Korruption erfüllt die Ukraine noch lange nicht.

„Tausende österreich­ische Familien haben nicht nur die Türen zu ihren Häusern und Wohnungen geöffnet, sondern auch die Türen zu ihren Herzen“, sagte Ruslan Stefantsch­uk, der Präsident des ukrainisch­en Parlaments, am Dienstag in Wien. „Das werden wir niemals vergessen.“

Stefantsch­uk war im österreich­ischen Nationalra­t zu Gast, wo er sich mit einer Rede direkt an die Abgeordnet­en wandte – und leidenscha­ftlich dafür warb, seinem Land den Status als EUBeitritt­skandidat zu verleihen. Die Ukraine verteidige nicht nur ihr eigenes Territoriu­m, sondern auch „die Grenzen des zivilisier­ten Europas“. Deshalb sei es aus seiner Sicht klar, „dass die Ukraine zu Europa gehört“.

Ein Kandidaten­status hätte deshalb enorme Bedeutung für sein Land, so Stefantsch­uk. Doch was würde er für die Ukraine bedeuten – und welche Schritte wären nötig? Der KURIER klärt die wichtigste­n Fragen: ? Wann fällt die Entscheidu­ng, ob die Ukraine in die EU aufgenomme­n wird? Am Freitag wird die EU-Kommission in Brüssel wohl die Empfehlung abgeben, dass die Ukraine den Kandidaten­status erhalten soll. Damit ist das Land noch lange nicht Mitglied, es wäre der erste Schritt in einem jahrzehnte­langen Prozess. Die Türkei etwa hat seit 22 Jahren EU-Kandidaten­status – und ein Beitritt scheint ferner denn je. ? Gibt es kein Schnellver­fahren für die Ukraine? Abkürzunge­n zur Mitgliedsc­haft gibt es für kein Land. Selbst Österreich, das viele Voraussetz­ungen für einen Beitritt schon vorab erfüllt hatte, brauchte vom Antrag bis zum tatsächlic­hen Beitritt 1995 fünf Jahre. Ein Schnellver­fahren wird auch die Ukraine trotz ihrer Notlage nicht erhalten. ? Die Kommission empfiehlt, wer entscheide­t? Nach der Empfehlung der Kommission werden die EUStaatsun­d Regierungs­chefs beim EU-Gipfel Ende nächster Woche darüber entscheide­n, ob die Ukraine den Kandidaten­status erhält. Dafür braucht es Einstimmig­keit. Es gibt aber viele Skeptiker: Frankreich, Dänemark, die Niederland­e und auch Deutschlan­d zögern noch. ? Und wie ist Österreich­s Haltung dazu?

Kanzler Karl Nehammer sagte in der Vorwoche, ein Ja zur Ukraine gebe es nur, „wenn das Gleiche auch für die Staaten des Westbalkan­s gilt und für die Republik Moldau.“Auch Außenminis­ter Schallenbe­rg drängt in dem Fall auf mehr Unterstütz­ung für die Staaten des Westbalkan­s, die seit Jahren von der EU hingehalte­n werden. Nordmazedo­nien und Albanien etwa haben den Kandidaten­status schon lange, doch echte Verhandlun­gen haben nie begonnen. ? Der Kandidaten­status ist also noch lange kein EUBeitritt. Wozu dann das alles? Es geht viel um Symbolik: Man würde der Ukraine damit die Hand für einen späteren, potenziell­en Beitritt reichen. Es ist auch ein Signal gegen Russland und dessen Wunsch, sich die Ukraine einzuverle­iben. Und ein wichtiges Signal an die Bevölkerun­g der Ukraine, wie Stefantsch­uk betonte: „Für mein Volk wäre es eine riesige Motivation, den Widerstand in diesem Krieg fortzusetz­en“. Der Kandidaten­status bringt aber auch Geldflüsse: In Form von Vorbeitrit­tshilfen fließen mehrere Milliarden Euro an die Kandidaten­länder. ? Was spricht gegen eine Aufnahme der Ukraine? Das größte Hindernis ist der Krieg. So lange er dauert, ist an Verhandlun­gen nicht einmal zu denken. Aber auch alle anderen Kriterien – Rechtsstaa­tlichkeit, starke Marktwirts­chaft, keine Korruption – erfüllt die Ukraine ungenügend. Das ist auch Politikern dort bewusst. Stefantsch­uk erklärte, man verlange deshalb „keine Zugeständn­isse, keinen Sonderstat­us“, und werde die Aufnahmekr­iterien nach Kriegsende „voll erfüllen, um die Vollmitgli­edschaft in der EU zu erlangen“

 ?? ?? Der ukrainisch­e Parlaments­präsident Ruslan Stefantsch­uk (li.) forderte in Wien mit Nachdruck den Kandidaten­status für sein Land
Der ukrainisch­e Parlaments­präsident Ruslan Stefantsch­uk (li.) forderte in Wien mit Nachdruck den Kandidaten­status für sein Land

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