Schadensreduktion statt Reparatur
Harm Reduction und Risikominderung sollten zur Gesundheitspraxis gehören
Der Seitenstettener Petition zu Harm Reduction und Risikominderung ging bereits ein Jahr intensiver Arbeit voraus, bevor sie dann im Rahmen der 7. PRAEVENIRE Gesundheitstage in Seitenstetten bei einem Gipfelgespräch in hochkarätiger Expertenrunde vorgestellt wurde. Während der Gesundheitstage haben bereits 25 ExpertInnen die Petition als ErstsignatorInnen unterstützt. Kurz zusammengefasst, geht es dabei um eine patientenorientierte, evidenzbasierte und zukunftsweisende Gestaltung gesundheitspolitischer Prozesse und Strukturen bei gleichzeitiger Aufklärung über die Potentiale dieser Ansätze. Das Primärziel von PRAEVENIRE ist hier die Prävention von Lebensstilrisiken und Suchtverhalten. Da das Thema ungemein breit ist, hat sich der Verein auf fünf Schwerpunktthemen verständigt: Bewegung, Ernährung, Alkohol, Rauchen und illegale Drogen.
Krank sein kostet
Natürlich sind Lebensstiländerung und Suchtabstinenz die bestmöglichen Outcomes für Betroffene, aber „bei manchen Patienten ist leider kein abstinentes Verhalten möglich“, erklärt Martin Barth, Leiter der Abteilung Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin am Pyhrn-Eisenwurzen Klinikum Steyr. „Für mich als Arzt ist es daher wichtig, die Patienten dort abzuholen, wo sie stehen und hier nicht eine moralisch übergeordnete Rolle zu spielen.“
Man müsse Risiken minimieren, um von der Reparaturmedizin wegzukommen, dies rechne sich auch aus gesundheitsökonomischer Sicht, wie Alexander Biach, stv. Direktor der Wirtschaftskammer Wien, erläuterte. Er ging dabei vor allem auf die wirtschaftlichen Konsequenzen von Adipositas und Übergewicht ein: „Für die Allgemeinheit fallen dadurch Kosten aufgrund des medizinischen Mehraufwands, vermehrter Krankenstandtage sowie erhöhter Kosten im Pflegebereich an. Laut einer Studie konnten 36,5 % der Pflegegeldbezieher auf drei Erkrankungsarten, die aus Übergewicht resultieren, zurückgeführt werden.“
Früh übt sich
Es braucht also Präventionsmaßnahmen, die früh ansetzen, denn: „wer im Kindes- und Jugendalter in Bewegung kommt und bleibt, beugt den wesentlichen Erkrankungen wie orthopädischen, kardiovaskulären, onkologischen sowie metabolischen vor“, sagt Richard Crevenna, Leiter der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin an der MedUni Wien.
Und dort, wo Prävention zu spät kommt, könne Harm Reduction immer noch eine wichtige Maßnahme zu Morbiditäts- und Mortalitätssenkung darstellen, wie Allgemeinmedizinerin Reingard Glehr unterstreicht: „Hier ist es wichtig, Vertreter von Gesundheitsberufen auf diese Alternative aufmerksam zu machen, um Patienten mitzugeben, dass man noch einiges zur Risikominimierung beitragen kann, auch wenn schon viel Risiko aufgebaut wurde.“
Pragmatisch bleiben
Eine wesentliche Rolle zur Risikominimierung spielt Harm Reduction etwa beim Thema Rauchen. „Jeder zweite Raucher geht am Rauchen zugrunde“, betont Ernest Gromann, wissenschaftlicher Leiter des Nikotininstituts. „Wenn es Produkte gibt, die weniger gefährlich sind, dann muss man sie den Leuten zugänglich machen und ihnen auch kommunizieren, dass sie weniger gefährlich sind“, so Gromann weiter.
In dieselbe Kerbe schlägt Hans Haltmayer, Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für arzneimittelgestützte Behandlung von Suchtkrankheit (ÖGABS). Für ihn gibt es keine vernünftige Drogenpolitik, die ohne Harm bzw. Risk Reduction auskommt. „Im Bereich der Drogen und illegalen Substanzen wäre ’Therapie statt Stafe’ beispielsweise eine typische Harm ReductionMaßnahme“, so Haltmayer. „Oder Drug Checking, wo man es erster Linie nicht unbedingt mit abhängigen Menschen zu tun hat, sondern mit Gelegenheitskonsumenten.“
Haltmayer wünscht sich zudem mehr Pragmatismus und Rationalität in der Diskussion: „Hätten wir beim Spritzenaustauschprogramm auf doppelblinde kontrollierte Studien gewartet, hätte sich die AIDS-Epidemie rasant ausgebreitet.“
Vorsorgen
Georg Jillich, Präsident des Österreichischen Kneippbunds, schloss inhaltlich an Haltmayer an und unterstich in seinem Statement abermals die Wichtigkeit einer möglichst frühen, gelebten Umsetzung von Präventionsarbeit und Risikominimierung im Alltag. „Für uns im Speziellen ist wichtig, die Basisarbeit der Prävention zu fördern und das Thema Gesundheitskompetenz in Schulen zu verankern.“
Wie wichtig evidenzbasierte Diskussionen zu diesem Thema sind und warum ein Shift weg von der Reparaturmedizin und hin zum Erhalt der Gesundheit notwendig ist, betonte auch Sportwissenschaftlerin Susanne Siokola-Tomandl. Sie traf den Nagel in ihrem Statement auf den Kopf: „Vorbeugen ist sinnvoller, einfacher und kostengünstiger, als nachher zu reparieren.“