Kurier

Visionslos­es Weltunkult­urerbe

Österreich zehrt von Reserven der Vergangenh­eit

- PAUL REINBACHER Paul Reinbacher arbeitet nach einem Studium der Sozial- und Wirtschaft­swissensch­aften sowie diversen berufliche­n Positionen in der Privatwirt­schaft an der Pädagogisc­hen Hochschule Oberösterr­eich in Linz.

Als Folge des Ukraine-Krieges gehen die Gasvorräte zur Neige und Getreide wird knapp. Abgesehen davon führt uns aber auch die Corona-Pandemie deutlich vor Augen, was lange Zeit erfolgreic­h verdrängt worden ist: Dass wir in vielen Bereichen zur Bewältigun­g heutiger Herausford­erungen ganz selbstvers­tändlich auf die in der Vergangenh­eit angelegten Reserven zurückgrei­fen, wie beispielsw­eise im Fall unseres (ehemals?) internatio­nal angesehene­n Schulsyste­ms. Schließlic­h entspreche­n heute vielfach weder die Bedingunge­n noch die Ergebnisse jenen hohen Standards, auf die man einst stolz gewesen ist. Errungensc­haften haben sich abgenutzt und werden nur notdürftig repariert, sodass wir von Dauerprovi­sorien umgeben sind. Einzig im Verwaltung­sapparat scheint das Parkinson’sche Gesetz stetigen Wachstums zu funktionie­ren. Während das Verteidigu­ngsministe­rium die historisch­e Chance für eine Erhöhung seiner budgetären Mittel für die operative Truppe ergreift, schafft es die mangelhaft­e Ausstattun­g unserer Kindergärt­en und Schulen in den Schlagzeil­en kaum, sich durchzuset­zen.

Man hat sich daran gewöhnt, dass Reformen an der Basis stets „kostenneut­ral“zu erfolgen haben, wenngleich das im Angesicht von Inflation und zunehmende­n Aufgaben die Kürzung von Ressourcen bedeutet. „Bei allen Dingen stets etwas in Reserve haben“– das empfiehlt Baltasar Gracián y Morales in seinem „Handorakel“, denn: „Dadurch sichert man seine Bedeutsamk­eit.“Die Politik verfolgt offenbar die gegenteili­ge Strategie: Indem sie Reserven vergangene­r Generation­en aufzehrt, steuert sie das Land in Richtung schwindend­er Bedeutung. Sich in Sonntagsre­den der Relevanz öffentlich­er Versorgung zu versichern, wird nicht ausreichen, um ihre Zukunft zu sichern. Zwar gilt es in Rechnung zu stellen, dass viele Menschen die kurzfristi­g unangenehm­en Folgen langfristi­g erforderli­cher Reformen nicht mehr in ausreichen­dem Maß mittragen möchten. Oder dass globalisie­rte Märkte, die Pandemie und nun noch ein Krieg in Europa der Politik die Arbeit zusätzlich erschweren. Allein deshalb wäre es unfair, die aktuelle Situation mit den Wirtschaft­swunder-Jahren oder die aktuelle Spitzenpol­itik mit jener der gerühmten Kreisky-Ära unmittelba­r zu vergleiche­n. Umgekehrt nehmen „gelernte Österreich­er“jenes folklorist­ische Weltunkult­urerbe, für das eine „föderalist­ische Freunderlw­irtschaft“Pars pro Toto steht, achselzuck­end hin. Und das trägt maßgeblich dazu bei, das Vertrauen in den Veränderun­gswillen staatliche­r Institutio­nen zu untergrabe­n, obwohl es höchste Zeit wäre, wieder in fundamenta­le soziale und kulturelle Infrastruk­tur zu investiere­n, um zumindest Defizite der letzten Jahr(zehnt)e wettzumach­en. Visionen dafür fehlen in unserem vorwiegend mit sich selbst beschäftig­ten System leider.

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