Österreich und Türkei rücken wegen Kriegs zusammen
Türkei schätzt den Kurs Nehammers nach dem Abgang von Kurz
„Wer blockiert, wird auch blockiert. So einfach ist das.“Das waren die Worte des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor fünf Jahren. So simpel, so klar. Seit 2016 hat sich die Türkei gegen die österreichische Teilnahme an den NATO-Partnerschaftsprogrammen gestemmt, um die Regierung in Wien zu treffen.
Doch plötzlich ist alles anders. Tauwetter ist angesagt nach der frostigen Stimmungslage der vergangenen Jahre. Dass sich die Beziehungen zwischen Wien und Ankara wieder aufhellen, hat sich bereits im April abgezeichnet. Da gab die Türkei die NATO-Blockade gegenüber Österreich auf.
Viel Wind wurde über diesen beachtlichen Schritt nicht gemacht – ein Signal dafür, dass hinter den Kulissen möglichst störungsfrei weiter daran gearbeitet werden soll, die Beziehungen zu verbessern. Auch die 2016 eingestellten archäologischen Grabungen in Ephesos sind jetzt wieder erlaubt.
Besuchsreigen
Und die Tauwetter-Politik geht weiter. Zuletzt reiste der Wiener Bürgermeister zum türkischen Präsidenten. Bundeskanzler Karl Nehammer wiederum wird Erdoğan am Rande des NATOGipfels Ende Juni in Madrid treffen. Und Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka plant am 27. Juni eine Reise an den Bosporus. Auch für Sobotka steht ein Gespräch mit dem türkischen Präsidenten auf dem Programm.
Woher rührt dieser Stimmungswandel? Zum einem brachte der Krieg in der Ukraine viel in Bewegung. „Die Türkei hat wieder an Bedeutung gewonnen, indem sich Erdoğan in eine Vermittlerrolle hineingedrängt hat“, sagt der Politologe und Türkei-Experte Thomas Schmidinger. „Immerhin ist es der Türkei als NATO-Land gelungen, mit Putin im Gespräch zu bleiben.“Und Nehammer setzt auf Erdoğan als einen erfolgreichen Vermittler – was der türkische Präsident zu schätzen weiß.
Zudem hofft der ÖVPKanzler weiter auf die Rolle der Türkei in der Flüchtlingsfrage. Über vier Millionen Syrer hat das Land aufgenommen. Noch mehr Flüchtlinge könnten kommen, wenn wegen der Getreideblockade im Ukraine-Krieg Hungerkrisen folgen. Dann solle „die Türkei weiter als ein Bollwerk gegen die Migration aus Nahost fungieren“, sagt Schmidinger.
Verändert hat sich die unfreundliche Tonlage zwischen der Türkei und Österreich vor allem aber seit dem Abgang der Regierung von Sebastian Kurz. „Die populistische Islam-Politik von Kurz ist unter Nehammer nicht mehr zu spüren. Da hat sich tatsächlich etwas geändert, und es hat sicher dazu beigetragen, dass sich das Verhältnis verbessert hat“, schildert Schmidinger.
Revival der Nabucco?
Und nicht zuletzt Österreichs Suche nach neuen Wegen der Gasversorgung dürfte eine Rolle spielen. So soll Erdoğan angedeutet haben, dass das 2013 eingestellte Pipeline-Projekt Nabucco wiederbelebt werden könnte. Vor neun Jahren hatte man aus Österreich noch abgewunken: Zu teuer sei das Projekt, die Türkei ein zu schwieriger Partner.
Und was hat die Türkei vom Kuschelkurs mit Wien? Schmidinger: „Erdoğan ist innenpolitisch schwer angeschlagen. Die Inflation ist so hoch, die Wirtschaftskrise trifft auch seine eigene Wählerschaft massiv. Laut Umfragen würde er bei Wahlen keine Mehrheit mehr gewinnen. Da braucht Erdoğan jede Form von Legitimität. Und jedes Zeichen, das seine internationale Isolation beendet.“