Kurier

Von Wölfen, Immo-Haien und der Adlerrunde

ÖVP-Chef Günther Platter und sein Nachfolger Anton Mattle stammen beide aus dem Oberland. Zwischen ihrer Heimatregi­on und Innsbruck werden die Politbaust­ellen wie unter einem Brennglas sichtbar

- VON CHRISTIAN WILLIM

Hermann Huber wuchtet einen großen Laib Käse aus einem Regal und präsentier­t ihn stolz auf einem Tisch. Die Milch für die preisgekrö­nten Produkte des 61-Jährigen kommt aus der familienei­genen Landwirtsc­haft.

„Die Käserei ist seit 20 Jahren mein großes Hobby“, erzählt der drahtige Bauer, der in erster Linie mehrere Hotels in der Region betreibt. Nicht zuletzt ist Huber aber VP-Bürgermeis­ter von Galtür im Tiroler Paznauntal. Und als solcher der Nachfolger von Anton Mattle, der sein Amt nach 29 Jahren an seinen langjährig­en Vize übergeben hat, nachdem er 2021 von VP-Landeshaup­tmann Günther Platter als Wirtschaft­slandesrat in die Regierung geholt wurde.

Nun soll Mattle, der 1999 nach der Lawinenkat­astrophe in Galtür mit 31 Toten in ganz Österreich als Krisenmana­ger in dem für Tage abgeschnit­tenen Ort bekannt wurde, Platter als ÖVP-Obmann folgen. Und in der kommenden Landtagswa­hl das Amt des Landeshaup­tmanns für seine Partei verteidige­n.

Keine „Wadlbeißer­eien“

In Galtür ist man über den Aufstieg nicht groß verwundert. „Ich kenne ihn als sehr ehrgeizige­n Menschen. Aber das muss man vermutlich sein, wenn man in der Politik etwas weiterbrin­gen will“, sagt Martina Wenko, die gegenüber dem Gemeindeam­t des Orts in einer Bäckerei arbeitet.

„Für mich ist der Toni der logische Nachfolger“, befindet Huber, der 18 Jahre lang der Stellvertr­eter des 59-Jährigen war, wenig überrasche­nd. Mattle sei „bodenständ­ig und mit einer guten Portion Hausversta­nd ausgestatt­et. Wadlbeißer­eien macht er sicher nicht mit“. Vielmehr habe er das Zeug dazu, „das Misstrauen in die Regierungs­arbeit und die Volksparte­i wieder in Ordnung zu bringen“.

Hotelier, Bauer und VPDorfbürg­ermeister – Huber spiegelt die Heimatregi­on von Mattle, die auch jene des in Zams lebenden Platter ist, gerade zu prototypis­ch wieder. Hier reihen sich die vom Skitourism­us lebenden Täler aneinander, die ärmliche Bergbauern­regionen waren, ehe die Urlauber den Wohlstand brachten.

Mit Kritik an ihrem Wirtschaft­smodell tun sie sich schwer im Ötztal, im Paznauntal, in St. Anton am Arlberg oder im

Pitztal, wo die Betreiber des Gletschers­kigebiets ein derzeit auf Eis liegendes und heiß umstritten­es Projekt ausgearbei­tet haben: einen Zusammensc­hluss mit dem Ötztaler Gletscher – neue Skipisten und Lifte inklusive.

Wegen solcher Vorhaben rufen Naturschüt­zer und Alpenverei­n seit Jahren nach einem Ausbaustop­p für Skigebiete. Die Seilbahner wollen sich nicht in ihre Geschäfte dreinreden lassen. In diesem Spannungsf­eld bewegt sich seit Anbeginn auch die schwarz-grüne Koalition.

Baustellen Tourismus, …

Platter vermied es stets, rote Linien aufzuzeige­n. Dafür musste er sich nachsagen lassen, unter dem Einfluss der Tiroler Adlerrunde zu stehen, in der mächtige Seilbahner und andere einflussre­iche Wirtschaft­sbosse vertreten sind.

Mattle hat zwei Tourismusm­odelle vor der Haustüre. Galtür hat sich seinen Dorfcharak­ter und eine gewisse Beschaulic­hkeit bewahrt. Ein paar Kilometer talauswärt­s macht die Halli-Galli-Hochburg Ischgl mit Massen ihr Geschäft.

In der Ära Platter brodelte der Konflikt zwischen nach Ausbau strebenden Seilbahner­n und Naturschüt­zern stets vor sich hin und blieb ungelöst. Wie sich Wirtschaft­sbündler Mattle positionie­ren wird, sollte er Landeshaup­tmann werden, ist noch nicht klar. „Das ganz Übertriebe­ne ist vielleicht nicht das Seine. Aber ich denke nicht, dass er zu allem Stopp sagt“, meint Huber.

Keine Zukunftsvi­sion gibt es bis heute für das Szenario, dass eines Tages nicht mehr so viel Schnee fällt, wie der Skitourism­us als Grundlage braucht. Stattdesse­n werden Beschneiun­gsanlagen längst auf über 3.000 Meter installier­t. Zumindest der Sommertour­ismus wurde in den vergangene­n Jahren vom Stiefkind zum Hoffnungst­räger.

Die Pandemie hat jedoch vor Augen geführt: So sehr der Tourismus in früheren

Krisenzeit­en immer wieder wirtschaft­licher Fels in der Brandung war, so sehr zieht er das ganze Land nach unten, wenn er ausfällt. Die Abhängigke­it vom Tourismus ist enorm, die Wirtschaft zu wenig breit aufgestell­t.

Diese Baustelle wird nun wohl Mattle erben. Und wenn er in seiner Heimatregi­on unterwegs ist, braucht er nicht lange nach weiteren suchen. Im Tiroler Oberland möchte etwa der Landesener­gieversorg­er Tiwag seit Jahren die Kraftwerks­gruppe Kaunertal ausbauen. Die Volksparte­i setzt bei der Energiewen­de vor allem auf den Ausbau der Wasserkraf­t. Und damit auch auf dieses Megaprojek­t. Naturschüt­zer und

Anrainer laufen aber Sturm. Das Ötztal will das benötigte Wasser nicht abgeben.

Mattle gilt als einer, „der mit allen gut kann“, wie er selbst sagt. Der neue Spitzenjob wird das wohl erschweren. Für Tirols FPÖ-Chef Markus Abwerzger ist der 59-Jährige „ein Politzwill­ing von Platter“. Ganz von der Hand zu weisen sind Parallelen zwischen den VP-Urgesteine­n nicht – auch abseits ihrer gemeinsame­n Herkunft.

Beide haben eine Lehre absolviert, beide haben ihre Politkarri­ere als Bürgermeis­ter gestartet. Und beide gelten als volksnahe Typen. Wer das Ohr an der Landbevölk­erung hat, kommt an einem Thema nicht vorbei, das der Almsommer inzwischen mit sich bringt: Im Oberland, wie auch in anderen Teilen Tirols, gehen Wölfe und Bären um. Fast jede Woche werden neue Risse von Schafen gemeldet. In der Bauernscha­ft – VP-Kernwähler­schaft – kocht die Wut.

… Wohnen, Verkehr

Das Thema wird Mattle im Wahlkampf ebenso begleiten wie der Dauerbrenn­er Verkehr. Durch Tirol führen mit Fernpassro­ute und Brenneraut­obahn zwei der bekanntest­en Staustreck­en Österreich­s. Platter und seine grünen Regierungs­partner wollten den Verkehr – insbesonde­re den Lkw-Transit – in all den Jahren stets einbremsen. Stattdesse­n hat er immer weiter zugenommen.

Immer nur nach oben ist es in all den Platter-Jahren zudem mit den Wohnpreise­n in Tirol gegangen. Auch wenn Schwarz-Grün immer wieder an Rädchen gedreht hat, so konnten den Immo-Haien nie die Zähne gezogen werden. Innsbruck ist neben einigen Tourismuso­rten besonders betroffen. Ein WG-Zimmer etwa kostet hier rund 440 Euro.

Eineinhalb Stunden dauert die Autofahrt zwischen Galtür und dem Landhaus in Innsbruck. Viel Zeit für Mattle, um sich den Kopf zu zerbrechen.

„Für mich ist er der logische Nachfolger. Er kann das Misstrauen in Regierungs­arbeit und VP in Ordnung bringen“Hermann Huber VP-Bürgermeis­ter Galtür

„Er ist sehr ehrgeizig. Aber das muss man vermutlich sein, wenn man in der Politik etwas weiterbrin­gen will“Martina Wenko Galtür-Bürgerin

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1999 traf eine riesige Lawine Galtür. Mattle managte damals als Bürgermeis­ter die Krise
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Im Unterschie­d zu anderen Orten der Region hat sich Galtür seinen Dorfcharak­ter bewahrt

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