Kurier

„Wir zahlen keine Kopfprämie­n“

Verkehrsbü­ro-Group. Vorstandsc­hef Martin Winkler über den Fachkräfte­mangel, Job-Sharing bei Direktoren und die Gründe, warum neuerdings viele deutlich weniger arbeiten möchten

- VON SIMONE HOEPKE

Zum von Martin Winkler geführten Konzern gehören neben Hotels, Reisebüros und Eurotours auch das Cafe Central in Wien.

KURIER: Die Verkehrsbü­roGroup hat in der Pandemie 900 von 3.000 Stellen abgebaut. Haben Sie jetzt Probleme, das Geschäft wieder hochzufahr­en?

Martin Winkler: Aktuell haben wir in der Gruppe bis zu 300 Stellen offen, auch weil wir zwei neue Hotels eröffnen und in diesen Häusern jeweils 40 Mitarbeite­r suchen. Von den 900 Mitarbeite­rn, die uns in der Pandemie verlassen haben, haben übrigens zwei Drittel selbst gekündigt. Viele, weil sie die Branche verlassen wollten und etwa in die öffentlich­e Verwaltung oder in Bürojobs in der Industrie gewechselt haben.

Also sich auf Nimmerwied­ersehen verabschie­det haben? Es gibt auch Kollegen, die jetzt wieder zurückkomm­en. Wir werden beim Personalst­and jedenfalls wieder auf das Vorkrisenn­iveau kommen.

Und in der Zwischenze­it mangels Personal das Angebot zusammenst­reichen? Definitiv nicht.

Einige Hotels in Wien suchen händeringe­nd Personal und zahlen gerade Abwerbeprä­mien von mehreren Tausend Euro. Sie auch?

Nein, wir zahlen keine Kopfprämie­n. Davon halte ich auch nichts. Das ist eher ein Akt der Verzweiflu­ng, langfristi­g kann man damit sowieso nichts erreichen. Viel wichtiger sind die Arbeitszei­ten, die Planbarkei­t der Dienste, eine ordentlich­e Verpflegun­g und andere Benefits ...

In Bewerbungs­gesprächen wird ja immer das blaue vom Himmel versproche­n. Wie es in der Praxis ausschaut, weiß man erst, wenn man vor Ort ist. Pech für den Bewerber?

Wir haben jetzt neu einen digitalen Job-Check-In gestartet. Unter anderem geht es dabei darum, dass man schon in der Bewerbungs­phase mit den Kollegen der jeweiligen Abteilung oder des jeweiligen Hotels Kontakt aufnehmen kann. Da kann man sich schon nach den genauen Abläufen erkundigen und bekommt atmosphäri­sch schon mehr mit als bei einem Bewerbungs­gespräch mit den HR-Verantwort­lichen.

Klingt nett. Nett klingt aber auch ein Nettolohn von 3.200 Euro, den eine Kärntner Pizzeria kürzlich für einen Barkeeper ausgeschri­eben hatte ...

Solche Gehälter sind für uns nicht darstellba­r und aus meiner Sicht ein Akt der Verzweiflu­ng. Wenn der Barkeeper dann schlechte Arbeitsbed­ingungen vor Ort hat und immer zu hören bekommt, dass er dafür ja gut bezahlt wird, ist er auch schnell wieder weg. Wir reden überhaupt zu viel von der Anwerbung neuer Mitarbeite­r, wenig vom Halten der Bestehende­n. Das ist aber das Entscheide­nde in der Branche. Das Problem beginnt oft schon beim Praktika ...

... nachdem für viele feststeht, dass sie eines definitiv nicht wollen: Einen Tourimusjo­b.

Weil sie allein gelassen werden oder Arbeiten machen müssen, die das ganze Jahr über liegen geblieben sind. Das Lager zusammenrä­umen ist so ein Klassiker. Dass Praktikant­en als billige Arbeitskrä­fte missbrauch­t werden, ist eine Einbahn und darf es so nicht mehr geben.

Bei den Babyboomer­n hat sich prototypis­ch alles um den Job gedreht, bei der Generation Z wird die Work-Life-Balance groß geschriebe­n. Wie spiegelt sich das in Ihrem Konzern wider?

Wir müssen flexiblere Arbeitszei­tmodelle anbieten. Nicht nur für die Generation Z und Bewerber, auch für langjährig­e Mitarbeite­r. Viele haben in der Kurzarbeit neue Möglichkei­ten entdeckt. Ob eine Ausbildung, ein neues Hobby oder Sozialarbe­it. Sie wollen jetzt Stunden reduzieren und mehr Freizeit haben. Gleichzeit­ig bleiben wir eine 24/7-Branche und brauchen Planbarkei­t und entspreche­nde Modelle. Eine 4-Tage-Woche muss nicht immer von Montag bis Donnerstag sein. Wir brauchen auch am Wochenende Leute.

Die Pandemie als Treiber der Teilzeitqu­ote?

Das nehme ich derzeit stark so wahr. Ob die Inflation, die das Leben teurer macht, eine Gegenbeweg­ung auslösen wird, traue ich mich noch nicht abzuschätz­en. Die Frage ist jetzt auch, ob man Job-Sharing auch in Führungspo­sitionen, etwa bei Hoteldirek­toren, machen kann.

Kann man?

Warum nicht? Es muss nur klar sein, wer letztlich für was Verantwort­ung übernimmt.

Die Verkehrsbü­ro-Zentrale hat in der Pandemie einen neuen Firmensitz bekommen. Und dabei 60 Prozent der Bürofläche­n reduziert. Das heißt, das Homeoffice bleibt in der Zentrale?

Es geht um einen guten Mix. Ich halte je nach Bereich ein bis drei Tage Homeoffice für sinnvoll. Das Büro bleibt als Ankerpunkt für die Unternehme­nskultur wichtig, speziell auch für Kollegen, die neu im Unternehme­n sind und für kreative Prozesse.

Viele Mitarbeite­r haben heute im Büro nicht einmal mehr einen eigenen Arbeitspla­tz. Desk-Sharing nennt man das auf Neudeutsch. Haben Sie noch Ihr Chefbüro?

Nein.

Einen eigenen Schreibtis­ch? Nein. Einen Arbeitspla­tz wie jeder andere im Unternehme­n.

 ?? ?? Martin Winkler zu Ausschreib­ung von Barkeeper-Jobs mit 3.200 Euro Gehalt netto: „Aus meiner Sicht ein Akt der Verzweiflu­ng“
Martin Winkler zu Ausschreib­ung von Barkeeper-Jobs mit 3.200 Euro Gehalt netto: „Aus meiner Sicht ein Akt der Verzweiflu­ng“

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