Kurier

„Wir warten seit 25 Jahren auf ersten 125-Jährigen“

Molekularb­iologe sieht derzeit keinen Anstieg der maximalen Lebenserwa­rtung. Ewiges Leben würde Sexualität überflüssi­g machen

- ERNST MAURITZ

Skepsis. Größer als 99 Prozent ist laut Forschern der University of Washington die Wahrschein­lichkeit, dass bis 2100 der Altersreko­rd der Französin Jeanne Calment – sie starb 1997 mit 122 Jahren – gebrochen wird. Ob in diesem Jahrhunder­t jemand 130 Jahre alt wird, da sind sich die Wissenscha­fter mit einer angenommen­en Wahrschein­lichkeit von nur 13 Prozent aber gar nicht mehr so sicher.

Eine andere Studie beziffert die Grenze für die maximale Lebenserwa­rtung mit 120 bis maximal 150 Jahren: Spätestens dann sei die Widerstand­sfähigkeit des Körpers erschöpft, das Limit erreicht. „Der Mensch ist im Vergleich mit den Tieren bereits jetzt unter den Top Ten der langlebigs­ten Arten, davor sind nur Fische, Muscheln, Tiefseesch­wämme und kleine Quallen“, sagt der Molekularb­iologe und Spezialist für Alterungsv­orgänge, Günter Lepperding­er.

Bisher sei die Lebensverl­ängerung durch Domestikat­ion gelungen, wie man sie auch bei Haustieren sehe, also durch „Verhäuslic­hung“: „In den wohlhabend­en Ländern haben wir unser häusliches Umfeld so weit optimiert, dass es gute Möglichkei­ten gibt, sich wohlzufühl­en und alt zu werden – außer es gibt Krieg oder schwere Krisen.“Haben mehr Menschen bessere Lebensbedi­ngungen, werde die durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung weiter steigen.

Was die maximale Lebensspan­ne betrifft, sehe er keine Anzeichen für eine baldige Verlängeru­ng, sondern eher eine Stagnation: „Calment starb vor 25 Jahren – seit damals warten wir auf den ersten 125-jährigen Menschen. Ich sehe keinen bahnbreche­nden Durchbruch, der hier bald eine Ausweitung der maximalen Lebensspan­ne ermöglicht.“Als ältester lebender Mensch derzeit gilt die Französin Lucile Randon mit 118 Jahren und etwas mehr als vier Monaten.

„Unsere Verjüngung erfolgt derzeit auf Population­sebene über die Reprodukti­on“, erklärt Lepperding­er: „Würde man sie auf individuel­ler Ebene erreichen wollen, müsste man den Menschen zu einer Art Festung umbauen: Die steht für sich, reproduzie­rt sich nicht, aber kann Hunderte Jahre halten, wenn jeder Schaden immer sofort nach dem Auftreten erneuert wird.“Umgelegt auf den Menschen hieße das: „Wann muss man mit Reparaturm­aßnahmen beginnen, damit die Lebenserwa­rtung deutlich steigt? Wann ist es zu spät, sind lebensverk­ürzende Krankheite­n nicht mehr verhinderb­ar? Der (nahezu) ewig Lebende würde sich dann selbst genügen: „In letzter Konsequenz müsste man noch die Sexualität abschaffen – Reprodukti­on ist ja nicht mehr notwendig. Ob das alles erstrebens­wert ist, ist eine andere Frage.“

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