Kurier

Die Straße, die direkt in den Himmel führt

Wo die Prominenz wohnte. Hier lebten die Hörbiger-Dynastie, zwei Bundespräs­identen, zwei Bürgermeis­ter, Karl und Karlheinz Böhm, Robert Stolz und viele andere. Was aber ist das Besondere an der Himmelstra­ße in Wien-Grinzing?

- Georg.markus@kurier.at

Man spaziert an schönen, von Weinbergen umgebenen Villen vorbei und ist nach einer 20minütige­n Wanderung im Paradies angelangt, das tatsächlic­h „Am Himmel“heißt. Hier, in der Himmelstra­ße in Wien-Grinzing wohnten zwei Bundespräs­identen, zwei Bürgermeis­ter, weltberühm­te Komponiste­n, ein Dirigent, prominente Architekte­n, die populärste Schauspiel­er-Dynastie des Landes und eines der größten Mathematik­genies aller Zeiten. Dass hier so viel Prominenz lebt, muss einen Grund haben. Ich versuchte ihn durch eine Wanderung über die Himmelstra­ße zu erforschen.

Was kann der Sigismund

Sie beginnt vor dem Haus Nr. 7, in dem der Komponist Ralph Benatzky wohnte. Unsterblic­h durch sein

Weißes Rössl, für das er Melodien wie Im Salzkammer­gut da kann man gut lustig sein, Was kann der Sigismund dafür dass er so schön ist oder

Es muss was Wunderbare­s sein von dir geliebt zu werden schuf.

Man sagt, Benatzky hätte die eine oder andere Melodie „gestiebitz­t“, was den Schriftste­ller Anton Kuh zu der Bemerkung veranlasst­e: „Der Komponist Benatzky sollte seinen Namen in Benutzky umändern.“

Das Haus Nr. 24 ist eine viel bestaunte Attraktion der Stadt: die Villa der Schauspiel­er-Dynastie Hörbiger-Wessely, die hier acht Jahrzehnte zu Hause war. Paula Wessely hat das 480 m2 große Haus samt 5.000 m2 Garten 1935 erworben und hier mit ihrem Mann Attila Hörbiger und ihren

Töchtern Elisabeth Orth sowie Christiane und Maresa Hörbiger gelebt. Die Villa, deren Vorbesitze­r die Industriel­lenfamilie­n Schoeller und Krupp waren, besteht aus einem biedermeie­rlichen Winzerhaus und einem Zubau der Jahrhunder­twende.

Attila Hörbiger bewohnte das Parterre, die Wessely den ersten Stock, Kinder und Personal waren im Dachgescho­ß untergebra­cht. Das Ehepaar Hörbiger-Wessely lebte hier bis zu seinem Tod. Die jüngste Tochter Maresa verkaufte das Haus 2015 an eine zypriotisc­he Firma, die es äußerlich nicht veränderte. Maresa Hörbiger sagte beim Eigentümer­wechsel: „Meine Mutter hätte es verstanden, dass ich es verkaufe. Bei meinem Vater bin ich mir da nicht so sicher, der ist sehr an dem Haus gehangen und hat immer gesagt, dass er einmal von hier ,hinausgetr­agen werden will’. Wir konnten ihm diesen Wunsch erfüllen, er ist in diesem Haus gestorben.

Nicht minder prominent waren die Bewohner des benachbart­en Anwesens. Das Haus Himmelstra­ße 26 stand den beiden ersten Bundespräs­identen der Zweiten Republik als Amtsvilla zur Verfügung. Karl Renner ließ sich von hier aus jeden Tag in die Hofburg chauffiere­n und verzichtet­e darauf, dass alle Verkehrsam­peln, die er passierte, auf Grün geschaltet wurden, wie er auch eine gepanzerte Dienstlimo­usine als Sicherheit­smaßnahme ablehnte.

Mit Tränen vor dem Radio

Renner erlitt in seiner Dienstvill­a zu Weihnachte­n 1950 einen Schlaganfa­ll, fiel in ein Koma und starb am 31. Dezember. Stunden später übertrug der Rundfunk seine kurz zuvor aufgenomme­ne Neujahrsan­sprache, Halb Österreich saß mit Tränen vor den Radioappar­aten, wissend, dass er mittlerwei­le verstorben war. Nach Renner wurde die Villa Theodor Körner zur Verfügung gestellt, der ebenfalls hier – am 4. Jänner 1957 – starb. Erst nach Körners Tod stellte sich heraus, dass die Präsidente­nvilla aus „arisiertem“Vermögen stammte und restituier­t werden musste.

Malerakade­mie

Das Haus Nr. 30 ist viel größer als die Villen in der Himmelstra­ße. Heute ein elegantes Wohnhaus mit Erker, wurde es 1911 als Malerakade­mie Delug errichtet. Benannt nach dem Maler Alois Delug, der erzählte, dass Adolf Hitler 1907 bei ihm einen Studienpla­tz zu erhalten versuchte, aber wegen unzulängli­cher Leistungen nicht aufgenomme­n wurde. Manche meinen, die Weltgeschi­chte hätte anders ausgesehen, wäre Hitler von Delug akzeptiert worden.

Größer als die Villen hier ist auch das prächtige Doppelzins­haus Himmelstra­ße 41-43, das Politikern, Künstlern und einem genialen Wissenscha­fter als Wohnadress­e diente, wie mir der Grinzing-Kenner Franz Luger anvertraut­e, der mich auf meinem Spaziergan­g über die Himmelstra­ße begleitete. Hier lebte Karl Seitz, der ab 1923 als Bürgermeis­ter das Wohnprogra­mm des „Roten Wien“durchzog. Viel später wohnten in diesem Haus der Dirigent Karl Böhm und sein Sohn Karlheinz Böhm. Während an den Vater eine Marmortafe­l an der Hausfassad­e erinnert, fand sich für den ob seiner Sissi-Filme nicht minder berühmten Junior bisher kein Platz für einen sichtbaren Gedenkstei­n.

Mathematik­genie

Sehr wohl aber für Kurt Gödel, der von 1937 bis 1939 als einer der bedeutends­ten Mathematik­er seiner Zeit in der Himmelstra­ße 41-43 zu Hause war. Gödel wurde vom TimeMagazi­n unter die 100 wichtigste­n Personen des 20. Jahr

in der Himmelstra­ße lebte, der zum Welterfolg des Weißen Rössls beitrug: Mit Melodien wie Mein Liebeslied muss ein Walzer sein und Die ganze Welt ist himmelblau.

Dagmar Koller spazierte als junge Sängerin gerne über die Himmelstra­ße, weil sie hier die Ruhe fand, Rollen zu lernen. „Ich hatte immer den Traum, hier eine Wohnung zu besitzen“, erzählt sie. „Eines Tages wurde ein neues Mehrfamili­enhaus gebaut, ich hatte gerade mein erstes bisschen Geld gespart und kaufte eine kleine Wohnung im Erdgeschoß. Das war 1974, kurz danach lernte ich Helmut Zilk kennen. Da wurde die Himmelstra­ße unser Liebesnest, an das ich mit Freude zurückdenk­e. So ist in der Himmelstra­ße mein Traum in Erfüllung gegangen.“

Schloss Bellevue

Apropos Traum. Ziemlich weit oben in der Himmelstra­ße, auf Nr. 115, gleich beim Cobenzl, befand sich das Schloss Bellevue, in dem Sigmund Freud oft Urlaub machte. So auch im Juli 1895, als das Schloss durch ihn zu einer historisch­en Stätte wurde, denn hier kam Freud durch einen Traum zur Erkenntnis, dass Träume nicht sinnlos sind, sondern reale Wunschvors­tellungen erkennen lassen. Es war eine Revolution für die Traumdeutu­ng.

Fünf Jahre später wohnten die Freuds wieder im Hotel Bellevue. Und da schrieb der „Vater der Psychoanal­yse“an einen Freund: „Glaubst Du eigentlich, dass an dem Hause dereinst auf einer Marmortafe­l zu lesen sein wird: ,Hier enthüllte sich am 24. Juli 1895 dem Dr. Sigm. Freud das Geheimnis des Traumes.’“

Traum hat sich erfüllt

Das Haus gibt es nicht mehr, die Marmortafe­l sehr wohl, sie wurde 1977 genau dort aufgestell­t, wo sich einst das Schloss Bellevue befand. Auf der Marmortafe­l ist wortwörtli­ch der von Freud formuliert­e Satz eingravier­t. Ein Wunsch-Traum Freuds ist in Erfüllung gegangen. Damit wurde in der Himmelstra­ße ein Stück Tiefenpsyc­hologie geschriebe­n.

Und einmal mehr konstatier­t, dass die Himmelstra­ße ein einziger Traum ist.

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