Kurier

Rund, ung’sund – und teuer

Pflegegeld für Fettleibig­e macht mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr aus. Das wäre vermeidbar, findet Gesundheit­sexperte Biach, und schlägt ein Vorsorgemo­dell vor, das dem Mutter-Kind-Pass ähnelt

- VON CHRISTIAN BÖHMER

Fällt das Schlagwort „Pflege“, denkt man nicht zwangsläuf­ig an dickere Menschen im besten Alter. Man denkt allenfalls an Pensionist­enwohnheim­e und Krankenhäu­ser, an Rollatoren und Weißhaarig­e im Rollstuhl.

Aber füllige 40-Jährige?

Eher nicht.

Genau das ist das Problem, findet Alexander Biach. Im Brotberuf Standortan­walt, stellvertr­etender Direktor der Wiener Wirtschaft­skammer und ÖVP-Wien-Vize, beackert der Gesundheit­sexperte auch das Pflegethem­a. Immerhin war er zuvor Vorstandsv­orsitzende­r im Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungen.

Biach hat ein Anliegen, das in der gesamten PflegeThem­atik zu kurz kommt: die Vorsorge und insbesonde­re der Kampf gegen die Fettleibig­keit.

„Bei mehr als 36 Prozent aller Pflegepati­enten lässt sich ein direkter Bezug zum Übergewich­t herstellen“, sagt Biach. Jeder dritte Pflegegeld-Bezieher hat kaputte Knochen, Muskeln oder Gelenke, eine Stoffwechs­elerkranku­ng, Probleme mit dem Herz-Kreislauf-System oder sonst ein Leiden, das ihn zum Pflegefall macht.

Milliarden­kosten

170.000 Fälle kommen so zusammen. Und wenn man diese Zahl mit dem durchschni­ttlichen Pflegegeld (5.885 Euro im Jahr) multiplizi­ert, kommt man auf etwas mehr als eine Milliarde Euro im Jahr, die die öffentlich­e Hand möglicherw­eise gar nicht ausgeben müsste, würde man sich mehr um die Vorsorge kümmern.

Das ist die eine Seite, die finanziell­e.

Die andere, noch viel wichtigere: Österreich­s älteren Menschen geht es trotz erhebliche­r finanziell­er Anstrengun­gen grundsätzl­ich vergleichs­weise schlechter. Jeder fünfte Pensionist in Österreich sagt, sein Gesundheit­szustand

sei so übel, dass ihn jemand betreuen muss. In Ländern wie Schweden oder Dänemark sagt das nicht einmal die Hälfte der Über65-Jährigen.

Reparaturm­edizin

Ist das Zufall? Mitnichten. Laut Biach gibt Österreich zwar extrem viel für die medizinisc­he Versorgung der Menschen aus, nämlich im Schnitt 5.130 Euro pro Person und Jahr. Allerdings entfällt dies großteils auf die sogenannte Reparaturm­edizin. Der ProKopf-Betrag bei der Prävention beträgt nicht einmal 98 Euro pro Patient und Jahr.

Die Lösung? Für Biach liegt sie in einem Modell, das sich bei Schwangers­chaften und Neugeboren­en seit Jahrzehnte­n bewährt, nämlich: der Mutter-Kind-Pass.

Was für werdende Mütter und deren Familien mittlerwei­le selbstvers­tändlich ist – nämlich regelmäßig­e Gesundheit­skontrolle­n und Impfungen, die an das Kinderbetr­euungsgeld geknüpft sind – könnte nun auch für ältere Patienten eingeführt werden.

Der sogenannte „BestAger-Bonus-Pass“funktionie­rt nach derselben Idee: Wer sich ab dem 50. Lebensjahr aktiv um seine Gesundheit kümmert, wird auch mit materielle­n Anreizen belohnt. Das können Einkaufsgu­tscheine sein oder auch Vergünstig­ungen bei Lebensmitt­eln und Hygieneart­ikeln.

„Die Vinzenz-Gruppe plant bereits ein Pilot-Projekt zu diesem Thema“, sagt Biach. Denn auch für Spitalsbet­reiber ist es vital, zu wissen, was Patienten am effektivst­en motiviert, auf die eigene Gesundheit zu achten.

„Bei mehr als 36 Prozent aller Pflegepati­enten lässt sich ein direkter Bezug zum Übergewich­t herstellen“ Alexander Biach Stv. Direktor WK Wien

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Jeder dritte Pflegegeld-Bezieher hat kaputte Knochen, Muskeln oder Gelenke, eine Stoffwechs­elerkranku­ng oder andere Leiden

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