Kurier

Historisch­e Präsidents­chaftswahl in Kolumbien: Linksaußen gegen Rechtsauße­n

Stichwahl. Ein Ex-Guerillakä­mpfer und ein umstritten­er Millionär traten gegeneinan­der an. Beide wollten die Wut im Land für sich nutzen

- TOBIAS KÄUFER, BOGOTÁ

„Das Wichtigste für ein Land ist die Ausbildung der jungen Leute. Nur mit einer guten Bildung hat ein Volk eine echte Zukunft“, sagt Salvatora. Sie steht in der kolumbiani­schen Hauptstadt Bogotá seit 20 Jahren hinter ihrem selbst gebastelte­n Verkaufsst­and. „Trotzdem habe ich zwei Töchter an der Universitä­t“, sagt sie stolz. Salvatora hofft auf einen Sieg des Linkskandi­daten Gustavo Petro, denn der stehe nicht nur für eine bessere Bildungspo­litik: „Er hat die Kapazität, das Land aus der Wirtschaft­skrise herauszufü­hren. Wir brauchen einen Wandel.“

Ein paar Hundert Meter weiter sieht Gustavo Rodriguez die Lage ganz anders: „Mein Kandidat ist Rodolfo Hernández. Er wird in diesem

Land aufräumen, vor allem mit der Korruption. Es reicht“, sagt der Bankangest­ellte.

Zwei Meinungen, die am Tag der Stichwahl zwischen dem selbst ernannten Outsider und Bau-Unternehme­r Rodolfo Hernández und dem Ex-Guerillakä­mpfer Gustavo Petro doch eines gemeinsam haben: Den tiefgreife­nden Wunsch nach Veränderun­g.

Verhandeln mit Guerilla

Die verspreche­n beide: Sie kündigen Friedensve­rhandlunge­n mit den Widerstand­skämpfern der immer noch aktiven ELN-Guerilla an, wollen mehr Umweltpoli­tik und die diplomatis­chen Beziehunge­n zu Venezuela wieder aufnehmen. Nun geht es darum, wem die Kolumbiane­r eher zutrauen, das auch umzusetzen.

Für Gustavo Petro, der Wahlsieger nach dem ersten Durchgang (40 %) war und lange als Favorit galt, gab es in den letzten Wochen böse Rückschläg­e. Die prominente Parteifreu­ndin Piedad Córdoba wurde in Honduras mit 68.000 US-Dollar im Handgepäck erwischt – undeklarie­rt.

Videos von strategisc­hen Wahlkampfs­itzungen des Petro-Lagers

Petro: Seine Mitarbeite­r sollen mit Drogenboss­en verhandeln

zeigten, wie seine Mitstreite­r versuchten, Rivalen mit schmutzige­n Tricks zu diskrediti­eren. Und es gibt Vorwürfe, dass Menschen aus dem Umfeld von Petros Wahlbündni­s „Pacto Histórico“mit inhaftiert­en Drogenboss­en über deren Nichtausli­eferung an die USA verhandelt­en, sollten sie das Land regieren.

Doch auch das Saubermann-Image von Rodolfo

Hernández: Gegen Korruption, doch selbst im Fokus der Justiz

Hernández bröckelt zusehends. Seine Kernbotsch­aft lautet: Korruption­sbekämpfun­g. Der Multimilli­onär will sein Präsidente­ngehalt für Universitä­tsstipendi­en stiften und die „korrupten Köpfe aus einem eigentlich funktionie­renden System“entfernen.

Doch gegen den ehemaligen Bürgermeis­ter von Bucaramang­a wird selbst wegen Korruption ermittelt, außerdem soll er Off-Shore-Firmen besitzen. Es gibt Videos von ihm, die zeigen, wie er einen Stadtabgeo­rdneten ohrfeigt.

Obendrein beleidigte Rodolfo Hernández im strenggläu­bigen Kolumbien in einem Interview die Jungfrau Maria, worauf einige Katholiken forderten, ihn zu exkommuniz­ieren.

Die letzten Umfragen sagten ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Ein Ergebnis wurde erst spät in der Nacht auf Montag (europäisch­er Zeit) erwartet. Ein hauchdünne­s Resultat könnte das Land lähmen, denn insbesonde­re das Petro-Lager schürte zuletzt Misstrauen gegen das kolumbiani­sche Wahlsystem.

All das verdeutlic­ht: Die Nerven in Kolumbien liegen blank, wer auch immer als Sieger durchs Ziel geht, wird es schwer haben, das Vertrauen des anderen Lagers zu gewinnen. Oder wie es der Politik-Analyst Daniel Briceno ausdrückt: „Wir haben ein Land, das gespalten ist und weiterhin gespalten bleiben wird.“

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