Ist sie zu stark, seid ihr zu schwach
Leonore Gewessler setzt die politische Agenda, ohne sich mit tradierten Machtstrukturen aufzuhalten. Kann man ihr das zum Vorwurf machen?
Bei der Wahl ihrer Gegner ist die grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler nicht unbedingt zimperlich. Mit der Reform der Umweltverträglichkeitsprüfung stellt sie gleich mehreren Landeschefs, die bei Windkraftprojekten säumig sind, die Rute ins Fenster. Der EU wiederum, die dem Atomstrom ein grünes Mascherl umbinden wollte, drohte sie kurzerhand mit einer Klage. Nur zwei aktuelle Beispiele aus einer langen Liste.
Beim Lobautunnel düpierte sie – einst undenkbar! – das rot-schwarze Machtduo in
Wien und Niederösterreich, auch beim Klimaticket bremste sie die Ost-Region aus. Das Flaschenpfand führte sie unter Murren der Handelsketten ein. Für die CO2-Besteuerung, die bei der Wirtschaft für Schnappatmung sorgt, sind die Pflöcke eingeschlagen.
Als Gewessler 2020 als Quereinsteigerin kam, hatte sie niemand auf dem Radar. Heute ist klar, dass sie das Spiel auf der Machtklaviatur beherrscht. Die Umweltorganisation Global 2000, der Gewessler (wie auch die knallharte Wiener SPÖVerkehrsstadträtin Ulli Sima und der grüne ORF-Stiftungsratschef Lothar Lockl) entstammt, ist wohl eine gute Schule.
Gewesslers Polit-Stil ist hierzulande nicht gelernt: Die 44-Jährige nimmt keine Rücksicht auf tradierte Mechanismen, die Machtzentren in den Ländern muss sie ebenso wenig bedienen wie die Sozialpartner. Die Hinsichtl-Rücksichtl-Politik, mit der Rot-Schwarz das Land einst in Tiefschlaf versetzte, ist ihr fremd. Eher erinnert ihr Stil an die Anfänge von Türkis-Blau, als der Kanzler seine Meinung kurzzeitig nicht von den Landeschefs geändert bekam. Dass nicht jedes von Gewesslers Projekten fehlerfrei über die Bühne geht, schweigt und lächelt sie weg. Nur wer überhaupt etwas tut, kann auch Fehler machen. Gewessler agiert in ihrem Mega-Ministerium dabei höchst ideologisch und aus der erhabenen Position, „das Richtige“zu tun. Die Weltenlage spielt ihr in die Hände. (Fast logisch, dass es Gewessler war – und nicht der Kanzler –, die gestern am Abend den türkis-grünen Notfallplan für die Gas-Krise in der ZiB2 präsentieren durfte.)
Wie sie – als logische Nachfolgerin von Werner Kogler – in einer künftigen rot-grünpinken Koalition performen würde, kann man sich ausmalen. Wenn nicht einmal die türkisen Spindoktoren die grüne Ministerin im Griff haben, was könnte ihr die SPÖ-Chefin entgegensetzen? Mehr als die Rolle der Kanzlerdarstellerin bliebe für Pamela RendiWagner wohl nicht. (Wie es als Grüne gelingt, Sozialdemokraten in einer Koalition an die Wand zu spielen, macht die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock vor.)
Kann man all das Gewessler zum Vorwurf machen? Nein. Wer nicht will, dass die Ministerin einer 14-Prozent-Partei die politische Agenda setzt, muss ihr etwas entgegenhalten. Ist sie zu stark, seid ihr zu schwach. Ein Appell an Landeschefs, Kämmerer und großen Koalitionspartner, aus dem Schmollwinkerl zu kommen – und mit eigenen Inhalten zu punkten.