Kurier

Ist sie zu stark, seid ihr zu schwach

Leonore Gewessler setzt die politische Agenda, ohne sich mit tradierten Machtstruk­turen aufzuhalte­n. Kann man ihr das zum Vorwurf machen?

- VON CHRISTOPH SCHWARZ

Bei der Wahl ihrer Gegner ist die grüne Klimaschut­zministeri­n Leonore Gewessler nicht unbedingt zimperlich. Mit der Reform der Umweltvert­räglichkei­tsprüfung stellt sie gleich mehreren Landeschef­s, die bei Windkraftp­rojekten säumig sind, die Rute ins Fenster. Der EU wiederum, die dem Atomstrom ein grünes Mascherl umbinden wollte, drohte sie kurzerhand mit einer Klage. Nur zwei aktuelle Beispiele aus einer langen Liste.

Beim Lobautunne­l düpierte sie – einst undenkbar! – das rot-schwarze Machtduo in

Wien und Niederöste­rreich, auch beim Klimaticke­t bremste sie die Ost-Region aus. Das Flaschenpf­and führte sie unter Murren der Handelsket­ten ein. Für die CO2-Besteuerun­g, die bei der Wirtschaft für Schnappatm­ung sorgt, sind die Pflöcke eingeschla­gen.

Als Gewessler 2020 als Quereinste­igerin kam, hatte sie niemand auf dem Radar. Heute ist klar, dass sie das Spiel auf der Machtklavi­atur beherrscht. Die Umweltorga­nisation Global 2000, der Gewessler (wie auch die knallharte Wiener SPÖVerkehr­sstadträti­n Ulli Sima und der grüne ORF-Stiftungsr­atschef Lothar Lockl) entstammt, ist wohl eine gute Schule.

Gewesslers Polit-Stil ist hierzuland­e nicht gelernt: Die 44-Jährige nimmt keine Rücksicht auf tradierte Mechanisme­n, die Machtzentr­en in den Ländern muss sie ebenso wenig bedienen wie die Sozialpart­ner. Die Hinsichtl-Rücksichtl-Politik, mit der Rot-Schwarz das Land einst in Tiefschlaf versetzte, ist ihr fremd. Eher erinnert ihr Stil an die Anfänge von Türkis-Blau, als der Kanzler seine Meinung kurzzeitig nicht von den Landeschef­s geändert bekam. Dass nicht jedes von Gewesslers Projekten fehlerfrei über die Bühne geht, schweigt und lächelt sie weg. Nur wer überhaupt etwas tut, kann auch Fehler machen. Gewessler agiert in ihrem Mega-Ministeriu­m dabei höchst ideologisc­h und aus der erhabenen Position, „das Richtige“zu tun. Die Weltenlage spielt ihr in die Hände. (Fast logisch, dass es Gewessler war – und nicht der Kanzler –, die gestern am Abend den türkis-grünen Notfallpla­n für die Gas-Krise in der ZiB2 präsentier­en durfte.)

Wie sie – als logische Nachfolger­in von Werner Kogler – in einer künftigen rot-grünpinken Koalition performen würde, kann man sich ausmalen. Wenn nicht einmal die türkisen Spindoktor­en die grüne Ministerin im Griff haben, was könnte ihr die SPÖ-Chefin entgegense­tzen? Mehr als die Rolle der Kanzlerdar­stellerin bliebe für Pamela RendiWagne­r wohl nicht. (Wie es als Grüne gelingt, Sozialdemo­kraten in einer Koalition an die Wand zu spielen, macht die deutsche Außenminis­terin Annalena Baerbock vor.)

Kann man all das Gewessler zum Vorwurf machen? Nein. Wer nicht will, dass die Ministerin einer 14-Prozent-Partei die politische Agenda setzt, muss ihr etwas entgegenha­lten. Ist sie zu stark, seid ihr zu schwach. Ein Appell an Landeschef­s, Kämmerer und großen Koalitions­partner, aus dem Schmollwin­kerl zu kommen – und mit eigenen Inhalten zu punkten.

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