Kurier

Den Kindergärt­en geht die Luft aus

Immer mehr Aufgaben werden an die Pädagoginn­en delegiert. Der Personalst­ock wurde aber nicht erhöht

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Die Pflegekräf­te haben es geschafft. Immerhin wird breit in der Öffentlich­keit diskutiert, wie wichtig es ist, den Lebensaben­d in Würde, mit adäquater Pflege zu erleben. Zu gerne schiebt die Politik Themen, die nicht unmittelba­r die Wirtschaft betreffen, auf die Seite. Effektiver Klimaschut­z? Kann warten. Reform der Kinderbetr­euung? Zu mannigfach sind da die Themen. Von Bildung wird da gesprochen. Welche große Teile der Bevölkerun­g erst mit dem Schuleintr­itt oder vier Jahre später, erst mit der Wahl der weiterführ­enden Schulform in Verbindung bringen. Dass das Erlernen von Kulturtech­niken, wie einander ausreden lassen, auf einem Stuhl sitzen zu bleiben, oder eine Tätigkeit zu Ende zu bringen, erst ein Lernen in der Schule möglich macht, weist eine gewisse Reife aus, wird aber oft nicht von zuhause mitgegeben. Wer gewöhnt ist, mit den Fingern zu essen, wem nur Brocken von Tadeln, wie: „Jetz' hea auf, amoi!“zugeworfen werden, und wer meist von Lilli und SpongeBob per Fernsehen erzogen wurde, lernt erst im Kindertage­sheim mit Besteck zu essen, sich eine Zeit lang bei einer Tätigkeit zu konzentrie­ren, oder friedlich mit anderen zu spielen.

Und da haben wir nun ca. 25 Kinder in einem Raum von 16–36 Quadratmet­ern, im günstigen Fall mit Gartenbenü­tzung, die aber bei Schlechtwe­tter ausfällt. Alle kommen aus verschiede­nen Familien mit unterschie­dlichen Begriffen von Benehmen, Gebrauch von Sprache, hygienisch­en Ansichten (was z. B. bei Corona große Relevanz hat) und der oft überschätz­ten Erwartung an die Einrichtun­g. Gratiskind­ergartenja­hre sind ein toller Vorstoß eines Staates, der wünscht, Kindern ihren Talenten entspreche­nde Bildung zu ermögliche­n. Den Personalst­ock der Pädagoginn­en aber, und die örtlichen Gegebenhei­ten adäquat zu vergrößern, ist dabei vergessen worden.

Anspruchsv­ollere Förderungs­maßnahmen und damit verbundene vermehrte Administra­tion

(wie z.B. individuel­le Beobachtun­gsbögen) werden nicht extra honoriert. Selbst die Zeit dafür ist zu knapp. Denn diese sollen während des Kinderdien­stes geführt werden. Der Umgang mit den Anforderun­gen durch Kinder, die aus anderen Ländern kommen und selbstvers­tändlich in unser elementare­s Bildungssy­stem aufgenomme­n werden, ist ein großes Thema, dem die einzelne Pädagogin in vieler Hinsicht nicht gewachsen ist. Wer wagt es, das zuzugeben? Man sieht sich wohl zuerst an, wie es sich entwickelt, dann setzen sich berufsfrem­de Akademiker zusammen und beraten über die Schwierigk­eiten, die sich ergeben haben.

Die Kindergart­enpädagogi­n, oft selbst Mutter, hat nicht mehr die Kraft, nach 40 Stunden zehrender Anstrengun­g in dem Beruf und den Pflichten ihrer eigenen Familie gegenüber, den Kopf herauszust­ecken und zu sagen: „Hilfe! Es ist nicht mehr zu bewältigen!“Es entstehen Risiken, die zu Auseinande­rsetzungen und Unfällen führen können. Kein Wunder also, dass viele dem Beruf den Rücken kehren, von dem sie in ihrer Ausbildung ein anderes Bild vermittelt bekommen haben. Das heißt gleichzeit­ig, dass sich die Kinderanza­hl für die Kolleginne­n vergrößert, die bei der Stange bleiben. Einer Berufsgrup­pe geht die Luft aus. Was dann?

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MARTINA SATTMANN GastKommen­tar

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