Kurier

Österreich­s schmutzige­r Notfallpla­n Erstes Kohlekraft­werk

Ausgerechn­et die grüne Ministerin Leonore Gewessler will das Kraftwerk Mellach wieder auf den schmutzigs­ten aller fossilen Energieträ­ger umstellen lassen Kohle-Strom

- VON BERNHARD GAUL UND MARTIN MEYRATH

Unter den fossilen Energieträ­gern ist Gas der sauberste. Dementspre­chend sollte es im Zuge der europäisch­en Energiewen­de als Brückentec­hnologie zum Einsatz kommen. Der Ukraine-Krieg hat die Situation aber drastisch geändert, denn Europas Hauptliefe­rant Russland zögert nicht, Energie als politische­s Druckmitte­l einzusetze­n. In Deutschlan­d und Österreich schwenken mit Robert Habeck und Leonore Gewessler nun ausgerechn­et grüne Minister um – und setzen in der Stromprodu­ktion vermehrt auf Kohle. Auch die Niederland­e kurbeln die Kohleverst­romung an.

Woher rührt die Aufregung, wird doch nur ein Kohlekraft­werk in Österreich (siehe Bericht re.) reaktivier­t?

Erstens weil Energiemin­isterin Gewessler erst 2020 den „endgültige­n“Ausstieg aus Kohlekraft feierte. Zweitens weil Kohlekraft durchaus mit Recht verteufelt wird als klima- und gesundheit­sschädlich. Und letztlich weil Österreich­s Klimaziele, die bis 2030 (minus 50 Prozent CO2-Ausstoß) ohnehin kaum erfüllbar scheinen, mit der Entscheidu­ng noch ein Stück weiter in die Ferne rücken.

Wofür wird Strom aus Gas und Kohle gebraucht?

Das Elektrizit­ätsnetz benötigt immer die gleiche Menge an Stromerzeu­gern (Kraftwerke­n) und Stromabneh­mern (Haushaltsk­unden und Betrieben). Ist das Gleichgewi­cht

Thomas Edison selbst stand hinter dem weltweit ersten Kohlekraft­werk, die „Edison Electric Light Station“ging 1882 in London in Betrieb

Kohlekraft in Österreich

Nach knapp 33 Jahren beendete die EVN erst 2019 die Kohleverst­romung am Standort Dürnrohr (bei Zwentendor­f an der Donau), das letzte war dann das Kohlekraft­werk Mellach bei Graz. In den 15 Jahren davor wurden bereits alle übrig gebliebene­n Kohlekraft­werksblöck­e wie etwa in Voitsberg, Zeltweg oder St. Andrä stillgeleg­t

Größtes Kohlekraft­werk

Die größten Kohlekraft­werke der Welt stehen in Asien, Polen hat in Bełchatów das fünftgrößt­e (5.000 MW)

gestört, kann das sehr schnell zum Albtraum Blackout führen, zu einem flächendec­kenden Stromausfa­ll. Die längste Zeit waren vor allem Erdgaskraf­twerke jene Stromerzeu­ger, die zur Stabilisie­rung des Netzes immer einspringe­n können, um mehr Strom zu produziere­n.

Warum will die Energiemin­isterin wieder etablieren?

Nun hat Österreich aufgrund der Sanktionen gegen Russland wegen des verbrecher­ischen Angriffskr­ieges gegen die Ukraine eine höchst fragile Situation rund um die Gasversorg­ung. Seit wenigen Tagen liefern die Russen nur noch die Hälfte der eigentlich vereinbart­en Mengen. Somit ist Gaskraft aber kein verlässlic­her Stromprodu­zent mehr. Die Regierung suchte Alternativ­en, und eine davon heißt, erneut auf Kohlekraft zu setzen. Klar ist allerdings, das je nach Wirkungsgr­ad eines Kraftwerks beim Verbrennen von Kohle im Vergleich zu Gas bis zur doppelten Menge CO2 frei wird. Darum soll das Kohlekraft­werk Mellach künftig auch nur im Notfall in Betrieb gehen. Was ein solcher Notfall ist, ist derzeit noch nicht definiert.

Ist die Situation in Deutschlan­d, wo ebenfalls auf Kohlekraft gesetzt werden soll, vergleichb­ar? grüne Kohle

Grundsätzl­ich nicht. Zwar will auch dort der ebenfalls grüne Wirtschaft­sminister Robert Habeck Kohlekraft­werke reaktivier­en. Doch anders als in Österreich ist Kohlekraft in Deutschlan­d eine zentrale Säule der Energiever­sorgung (rund 43 Prozent der Stromprodu­ktion). Ein Ausstieg ist nicht vor 2035 (!) geplant.

Wie reagieren Opposition und NGOs auf die Ansage der Regierung, Kohlekraft zu reaktivier­en?

Klimaschüt­zer sind regelrecht entsetzt (siehe Artikel unten). SPÖ-Energiespr­echer Alois Schroll meinte, die Reaktivier­ung des Kohlekraft­werks Mellach sei „einzig und allein der Untätigkei­t der türkis-grünen Regierung“geschuldet. Kritik übten auch die Neos. Die Regierung hätte schon vor Monaten handeln müssen, Gewessler sei völlig „plan- und orientieru­ngslos“, konstatier­te Generalsek­retär Douglas Hoyos. Seitens der

„Wir haben einen Auftrag – Raus aus der Abhängigke­it und der Erpressbar­keit durch Russland“Leonore Gewessler Klimaminis­terin APA / TOBIAS STEINMAURE­R „Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrau­ch zu senken“

Robert Habeck dt. Minister zur Kohlekraft REUTERS / MICHELE TANTUSSI

FPÖ meinte Parteichef Herbert Kickl, ÖVP und Grüne würden Österreich „nicht nur immer weiter in eine Teuerungsw­elle“treiben, sie hätten auch die „Versorgung­ssicherhei­t der Bevölkerun­g und der Wirtschaft dafür geopfert“. Seitens der Volksparte­i wird Gewessler hinter den Kulissen Respekt gezollt, über den eigenen Schatten als oberste Klimaschüt­zerin gesprungen zu sein, weil sie sogar Kohlekraft erlaubt.

Wer zahlt die Umrüstung des Kraftwerks auf den Energieträ­ger Kohle?

Zwar ist die Höhe der Kosten noch nicht spruchreif, klar ist aber, wer sie tragen wird:

„Für die Kosten der Ertüchtigu­ng wird zur Gänze der Bundeshaus­halt aufkommen“, hieß es dazu auf Anfrage aus Gewesslers Ministeriu­m.

Wie voll sind Österreich­s Gasspeiche­r?

Österreich­s Gasspeiche­r sind derzeit zu rund 41 Prozent gefüllt (Stand 19. Juni). Allerdings hat Österreich eine der größten Erdgasspei­cher-Kapazitäte­n in der EU. Sie fassen etwa einen Jahresbeda­rf.

Ist Atomkraft eine langfristi­ge Option?

Alle europäisch­en Staaten achten derzeit darauf, wie die benötigten Strommenge­n generiert werden könnten.

Während in Österreich der Neubau eines Atomkraftw­erks eher ausgeschlo­ssen ist (1978 gab es eine bindende Volksabsti­mmung gegen

Zwentendor­f), sehen die meisten anderen Staaten Atomkraft weit weniger negativ. Mit einem Anteil von 27 Prozent ist Kernenergi­e auf Platz 1 unter den Stromerzeu­gern. Frankreich generiert rund 70 Prozent seiner Energie aus Kernkraft. Vollkommen stabil ist allerdings auch diese Technologi­e nicht: Niedrige Pegelständ­e von Flüssen, die diese Kraftwerke zur Kühlung brauchen, haben die Betreiber heuer zeitweise gezwungen, die Leistung herunterzu­fahren.

Aus welchen EnergieQue­llen kommt der Strom in Österreich?

Österreich hat unter den EUStaaten den größten Anteil an grünem Strom, dank der fast vollständi­g ausgebaute­n Wasserkraf­t. Rund 60 Prozent unseres Stroms kommen übers Jahr gesehen aus Wasserkraf­tturbinen, dann folgen die Windkraft mit etwa zehn Prozent Anteil und Fotovoltai­k-Strom mit etwa drei Prozent. Erdgas ist zur Stromprodu­ktion vor allem im Winter wichtig, wenn die Erneuerbar­en weniger ertragreic­h sind. Dazu kommt der Einsatz in Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen. Insgesamt lag der Anteil zuletzt bei 15 Prozent.

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