Muss Brüssel wegen Putin den Klimaschutz opfern?
EU-Kommissionschefin warnt vor „Rückfall“zu fossilen Energien /Umstieg auf erneuerbare Energien soll umso schneller gehen
In Ungarn lehnt sich Außenminister Peter Szijjarto nach einem Telefonat mit dem Chef des russischen Gazprom-Konzerns zufrieden zurück: „Wir werden im Winter weiterhin mit billigem russischen Gas heizen.“
Die enge ungarische Anlehnung an Russland, während es Krieg gegen die Ukraine führt, zahlt sich für die Regierung von Viktor Orbán offenbar aus. Nach Ungarn fließt weiter ungebremst Gas, während sechs EUStaaten gar kein Gas aus Russland mehr erhalten.
EU-Kommissionspräsidentin: Ursula von der Leyen
Weitere fünf EU-Länder, darunter Österreich und Deutschland, bekommen mittlerweile so wenig Erdgas von ihrem bisher wichtigsten Versorger, dass sie zur Not wieder auf Kohlestrom zurückgreifen müssen. Auch die Niederlande haben gestern angekündigt, diesem Schritt zu folgen.
Ausstieg vom Ausstieg
Tschechien und Bulgarien wiederum haben sofort nach Beginn des russischen Einmarsches in der Ukraine ihre Konsequenzen gezogen: Aus Sorge, dass Russland ihnen das Gas abdrehen könnte, haben sie ihre Kohleausstiegspläne
auf Eis gelegt. 2025 hätte auch Italien eigentlich frei von Kohlestrom sein wollen, doch Ministerpräsident Draghi legte eine Kehrtwende hin: „Die Wiederinbetriebnahme von Kohlekraftwerken könnte notwendig sein.“
Die erzwungene Rückkehr zur Kohle droht die Ziele des ehrgeizigen europäischen Klimaschutzprogrammes über den Haufen zu werfen. Bis 2030 sollten die Treibhausgase in der EU eigentlich um 55 Prozent gesenkt werden (im Vergleich zu 1990). Steigen nun wegen der giftigen Kohlstromgewinnung wieder die Treibhausgase,
könnte dieses Ziel in weite Ferne rücken.
Entsprechend eindringlich warnte gestern EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in einem Interview mit der Financial Times vor einem „Rückfall“zu den fossilen Energien. Die Regierungen sollten besser darauf fokussiert sein, massiv in erneuerbare Energien zu investieren. So könnten die ursprünglichen Ziele der EUKlimapolitik erreicht werden. Vorschreiben kann die Kommissionschefin den Staaten allerdings nichts: Energiepolitik ist Sache der der EU-Mitgliedsländer.
Bleibt immer noch der
Wettlauf gegen die Zeit. Und gegen Kremlherrn Putin, der Europa das Gas vollkommen abdrehen könnte. Ganz ohne russisches Gas kommt Europa aber noch lange nicht über die Runden: Im Vorjahr hat die EU 45 Prozent ihrer Gasimporte – 155 Milliarden Kubikmeter – aus Russland bezogen. Heuer sollen es bis Jahresende um 100 Milliarden Kubikmeter weniger sein. Diese Lücke sollen Einfuhren von Flüssiggas aus den USA, Qatar, Algerien, Norwegen sein. Vergangene Woche hat EU-Kommissionschefin von der Leyen mit Ägypten und Israel Gaslieferverträge abgeschlossen.