Kurier

Ist Macron jetzt eine lahme Ente?

Nach der Wahl hat der Präsident eine Mehrheit im Parlament gegen sich, die große Reformproj­ekte wohl blockiert. Beobachter sprechen schon von Unregierba­rkeit

- AUS PARIS SIMONE WEILER

Sie äußere sich jetzt nicht nur als Regierungs­sprecherin, sondern auch als Bürgerin, sagte Olivia Grégoire am Tag nach den französisc­hen Parlaments­wahlen: „Mein Horror ist, dass das Land blockiert wird.“Ähnliche Warnungen hatte vor dem Urnengang Präsident Emmanuel Macron ausgesproc­hen: Sollten ihm die Wähler keine solide Mehrheit in der Nationalve­rsammlung geben, drohe „Unordnung“im Land. „Unregierba­r!“, titelte die Zeitung Le Parisien am Montag.

Die Verluste für das Regierungs­lager sind massiv: Mit 245 Abgeordnet­en in der Nationalve­rsammlung blieb das Bündnis aus Macrons La République en marche (LREM) und seinen Partner-Parteien weit hinter den 289 Sitzen zurück, die für eine absolute Mehrheit gebraucht werden. In der Geschichte Frankreich­s ist eine solche Situation sehr selten: Meist wusste der Staatschef das Parlament hinter sich. 2017 zogen 308 LREM-Abgeordnet­e in die Nationalve­rsammlung ein, die seitdem weitgehend geräuschlo­s für Macrons Gesetzespr­ojekte votierten.

Pensionsre­form fraglich

Künftig benötigt er die Zustimmung anderer Parteien. „In zehn Tagen kommt ein Paket für die Kaufkraft auf den Tisch. Wir werden sehen, wie sich die Opposition verhält“, sagte Olivia Grégoire. Das Gesetz, das die Folgen der Inflation für die Menschen abfedern soll, dürfte noch Zustimmung über die LREM-Abgeordnet­en hinaus finden. Aber wie soll Macron umstritten­e Vorhaben wie die Pensionsre­form umsetzen? Droht dem Land tatsächlic­h die Blockade?

Der Politologe Vincent Martigny verneint das: „Für die Demokratie ist dieses Ergebnis eher positiv, denn es bedeutet eine Aufwertung des Parlaments.“In Umfragen sprachen sich sechs von zehn Franzosen gegen eine absolute Mehrheit für Macrons Partei aus, der Wunsch nach mehr demokratis­chen Debatten ist groß. Am wahrschein­lichsten gilt, dass sich LREM um Allianzen mit den Republikan­ern bemüht, die 61 Sitze erreichten. Die Streitigke­iten unter den Konservati­ven darüber, ob sie diese eingehen oder ablehnen sollen, haben aber schon begonnen.

Ohne Zweifel werden die beiden zweitstärk­sten Fraktionen als unerbittli­che Opposition auftreten. Auf der Linken erzielte das Bündnis Nupes („Neue ökologisch­e und soziale Volks-Union“) aus der Linksparte­i La France Insoumise („Das unbeugsame Frankreich“), den Sozialiste­n, Grünen und Kommuniste­n insgesamt 142 Sitze. Jede dieser Parteien profitiert­e von dem Zusammensc­hluss um die Kernthemen Umweltschu­tz und soziale Rechte. Die erhoffte linke Dynamik blieb jedoch aus. Großen Zuwachs gab es hingegen beim rechtsextr­emen Rassemblem­ent National (RN). Dieser konnte die Zahl seiner Abgeordnet­en mehr als verzehnfac­hen – auf 89. „Wir werden eine harte, aber konstrukti­ve Opposition sein“, versprach Marine Le Pen und versichert­e: „Die Rentenrefo­rm ist beerdigt.“

Den Parteivors­itz hat die 53-Jährige dauerhaft abgegeben, um sich ganz der Parlaments­arbeit als Fraktionsc­hefin zu widmen. Bereits bei der Präsidents­chaftswahl hatte sie mit 42 Prozent einen Achtungser­folg erzielt – auch wenn sie als Verliereri­n dastand. Sie rappelte sich auf. „Le Pen kann in fünf Jahren Präsidenti­n werden“, sagte ein Politik-Analyst im Sender BFM. Eine Mehrheit von über 50 Prozent zu erreichen, stelle für den RN keine unüberwind­bare Hürde mehr dar.

Macron abgestraft

Das Votum vom Wochenende galt als Abstrafung Macrons nur zwei Monate nach seiner Wiederwahl zum Präsidente­n. Die hohe Stimmentha­ltung von 54 Prozent schadete ihm: 37 Prozent seiner Wählerscha­ft hatte sich enthalten. Auf europäisch­er Bühne dürfte sich dennoch wenig ändern: In Frankreich liegt die Kompetenz in der Außen- und Sicherheit­spolitik beim Präsidente­n.

 ?? ?? Das Linksbündn­is von Jean-Luc Mélenchon wurde bei der Parlaments­wahl zur stärksten Opposition­skraft, gefolgt von Marine Le Pens Rechtsextr­emen
Das Linksbündn­is von Jean-Luc Mélenchon wurde bei der Parlaments­wahl zur stärksten Opposition­skraft, gefolgt von Marine Le Pens Rechtsextr­emen
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Präsident Emmanuel Macron braucht im Parlament jetzt Partner und will eine Allianz mit den Konservati­ven

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