Kurier

Cranach in Wien: Als der alte Meister ein junger Wilder war

Sonderscha­u zeigt Schlüsselw­erke aus der Zeit um 1500

- VON MICHAEL HUBER

Er ist vielleicht nicht vom selben Geniekult umgeben wie Albrecht Dürer, doch in Sachen Selbstverm­arktung und Output konnte er den Meister aus Nürnberg wohl übertreffe­n: Lucas Cranach der Ältere (1472–1553) baute ab 1505 im deutschen Wittenberg eine Werkstatt auf, die mit Gemälden und Grafiken unsere Vorstellun­g der Zeit um 1500 bis heute prägt.

Durch seine Freundscha­ft mit Martin Luther wurde Cranach gewisserma­ßen zum Illustrato­r der Reformatio­nszeit. Seine LutherPort­räts kursieren – neben biblischen Szenen mit oftmals erotischem Unterton – in zahllosen Varianten und Originalit­ätsstufen.

Dass über die Ursprünge dieses Kunstunter­nehmers erstaunlic­h wenig bekannt ist, bildet nun den Ausgangspu­nkt einer kleinen, dichten „Kabinettau­sstellung“im

Kunsthisto­rischen Museum Wien (KHM) bis 16. Oktober.

„Indizienpr­ozess“

Dieses verfügt – neben einer Reihe klassische­r CranachWer­ke in der Gemäldegal­erie – auch über Frühwerke wie die sogenannte „Schottenkr­euzigung“, die das Museum aus dem Wiener Schottenst­ift erwarb. Vermutlich entstand das Bild um 1500, als sich Cranach in Wien aufhielt. Eindeutig belegbar ist ein solcher Aufenthalt allerdings nicht: „Es ist ein Indizienpr­ozess“, sagt KHM-Kurator Guido Messling, der gemeinsam mit Kolleginne­n jedoch eine schlüssige Annäherung an den „Wiener Cranach“vorlegt.

Dass die Spurensuch­e nicht nur für jene interessan­t ist, die kunsthisto­rische Detektivar­beit zu schätzen wissen, ist den bildnerisc­hen Qualitäten von Cranachs Frühwerk zu verdanken: Es ist generell dramatisch­er, drastische­r und impulsiver als die spätere, routiniert­e Bilderprod­uktion – ein Umstand, der sich auch im Ausstellun­gstitel „Der wilde Cranach“widerspieg­elt.

Da hängt dem Jesus in der „Schottenkr­euzigung“die bluttriefe­nde Zunge aus dem Hals, während sich weiter unten ein Hund an Menschenkn­ochen labt und eine zombiearti­ge Figur ins Bild ragt. Hinter dem „Heiligen Valentin“aus der Gemäldegal­erie der Wiener Akademie windet sich ein Epileptike­r (man rief den Heiligen bei solchen Anfällen an). Bäume, Gewänder, aber auch Gesichter in den Bildern wirken wie vom Sturm zerzaust.

Rätselhaft­es Ehepaar

Es sind aber vor allem zwei Gemälde, die im Kern der Schau stehen und die bildnerisc­he Besonderhe­it als auch die Wien-Connection Cranachs hervorstre­ichen: Das „Ehediptych­on des Dr. Johannes

Cuspinian und der Anna Cuspinian-Putsch“, das seinen Stammplatz in der „Sammlung Oskar Reinhart“in Winterthur/CH sonst kaum verlässt. Es ging aus Cranachs Verbindung­en zu Wiener Humanisten-Kreisen hervor und steckt voller Rätsel und Symbole, über die Gelehrte jener Zeit wohl angeregt diskutiert­en.

Was soll etwa die Eule, die da über dem Doktor schwebt und mit einem zweiten Vogel zu kämpfen scheint? Sie könnte ein Symbol für den Wechsel von Tag und Nacht, vom Gejagten zum Jäger, von Ohnmacht und Macht sein, sagt Messling. Auch das „melancholi­sche Gemüt“des Gelehrten – das man ebenso in seinem Blick zu verspüren meint – könnte der Vogel symbolisie­ren. Die Entdeckung­sreise geht hier erst los, das Schauen und Deuten – in Vermittlun­gstexten hinlänglic­h angeleitet – macht Freude.

Nach Coronafall. Der Frontmann der Rolling Stones, Mick Jagger, hat sich soweit von seiner Corona-Erkrankung erholt, dass die Band ihre Europatour­nee fortsetzen kann: Das heutige Konzert in Mailand soll wie geplant stattfinde­n. Das für Bern letzte Woche geplante und verschoben­e Konzert musste aber endgültig abgesagt werden. Am 15. Juli spielt die Band in Wien. documenta. Nach Antisemiti­smus-Vorwürfen gegen die documenta fifteen in Kassel wird das Banner des Kollektivs Taring Padi abgedeckt. Aufgrund einer Figurendar­stellung, die antisemiti­sche Lesarten ermöglicht, habe sich das Kollektiv mit Geschäftsf­ührung und Künstleris­cher Leitung „entschiede­n, die betreffend­e Arbeit zu verdecken und eine Erklärung dazu zu installier­en“.

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