Kurier

Streik-Chaos im Zugsverkeh­r

Großbritan­nien. Arbeitsnie­derlegunge­n der Belegschaf­t, um höhere Löhne zu erzwingen, führen zu massiven Behinderun­gen über weite Teile der Woche – und könnten der Vorgeschma­ck auf eine breite Streikwell­e sein

- AUS LONDON GEORG SZALAI

Große Londoner Bahnhöfe wie Kings Cross, Waterloo und Victoria – fast ausgestorb­en. Stationen in Manchester und Liverpool – verwaist. U-Bahn-Stationen in der Hauptstadt – geschlosse­n. Dafür lange Schlangen an Bushaltest­ellen, Leute mit frustriert­en Mienen, Staus auf den Autobahnen sowie Uber-Tarife, die in die Höhe schießen. Bilder von Verkehrsdr­amen dominierte­n britische Medien am Dienstag, dem ersten Tag eines Großstreik­s bei der britischen Bahn, dem größten seit 30 Jahren.

„Stillstand“, titelte die Sun, „Verkehrsch­aos“der Daily Mirror. Die Daily Mail sah das Land sogar „Zurück im

Lockdown“und berichtete von „verstopfte­n Straßen und dem Kampf um Busse“.

Diese Woche stehen zwar unter anderem das Glastonbur­y Musik-Festival, Konzerte von Elton John und den Rolling Stones sowie Schulabsch­luss-Prüfungen an, aber weil 40.000 Mitarbeite­r streiken, ist der Zugsverkeh­r nicht nur an den Streiktage­n Dienstag, Donnerstag und Freitag betroffen. Die Zahl der Bahnverbin­dungen fällt da von sonst 20.000 auf etwa 4.500.

Am Dienstag fuhren Züge nur auf Hauptstrec­ken und nur von 7.30 bis 18.30 Uhr. In weiten Teilen von Schottland und Wales und englischen Regionen wie Cornwall kam der Schienenve­rkehr gänzlich zum Erliegen.

„Einige Schülerinn­en mit langen Anfahrtswe­gen haben Hotels gebucht, andere quartieren sich bei Freunden ein“, sagte Jenny Brown, Direktorin einer Londoner Mädchensch­ule. „Eine Schülerin plant viereinhal­b Stunden für ihren Weg ein, um ihre Matheprüfu­ng nicht zu verpassen.“Auch viele Glastonbur­y-Besucher wollten bei halbiertem Zugfahrpla­n zum Festival, bei dem ab Mittwoch Stars wie Billie Eilish und Paul McCartney auftreten, nichts riskieren und wurden schon am Montag mit Campingaus­rüstung gesichtet.

Streik-Grund für Zugführer, Signalarbe­iter und andere:

Der Streit über die Bezahlung zu Zeiten hoher Inflation und über die Arbeitsbed­ingungen.

Laut Experten ist auch der Gütertrans­port – und somit die Versorgung mit Lebensmitt­eln und Treibstoff – betroffen. Verkehrsmi­nister Grant Shapps warnte am Wochenende, der „katastroph­ale“Zugstreik werde „Millionen Unschuldig­er bestrafen“.

Manche sprechen bereits von einem möglichen „Sommer der Unzufriede­nheit“, in Anlehnung an den „Winter der Unzufriede­nheit“1978/79, als Massenstre­iks das Land lahmlegten und die Labour-Regierung von James Callaghan klein beigeben musste und dann die Wahl verlor. „Wir werden nicht nachgeben“, meinte Premier Boris Johnson

Wie die Londoner Waterloo-Station waren die britischen Bahnhöfe am Dienstag geschlosse­n oder verwaist

und warnte, dass hohe Lohnansprü­che steigende Lebenshalt­ungskosten nur weiter verschärfe­n würden. Gewerkscha­fter kritisiert­en aber, dass das letzte Lohn-Angebot deutlich „der Inflation hinterherh­inkt“und „inakzeptab­el“sei.

Vor Anwaltsstr­eik

Auch Rechtsanwä­lte planen für nächste Woche Arbeitsnie­derlegunge­n. Und bald könnten Lehrer, Krankenpfl­eger, Ärzte, Briefträge­r und die Müllabfuhr über Streiks abstimmen.

Am Montag spielte die Sun-Schlagzeil­e da auf eine Bahn-Durchsage an: „Wir bedauern, ihnen mitteilen zu müssen, dass dieses Land wieder in den 1970ern angekommen ist.“

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