Kurier

Frieden im Wasser, Krieg in der Heimat

Der 25-jährige Ukrainer gewann im WM-Finale in Budapest für sein kriegsgerü­tteltes Heimatland Bronze. Er schwamm dabei gegen seinen größten Rivalen und zugleich größten Unterstütz­er

- AUS BUDAPEST SILVANA STRIEDER

Unter Wasser ist die Welt ruhig. Die Zeit bleibt stehen. Gedanken verschwind­en. Bis der Körper nach Sauerstoff schreit und einen zwingt, wieder aufzutauch­en. Außerhalb des Wassers beschäftig­t Ukraines Top-Schwimmer Michailo Romantschu­k nur die Sicherheit seiner Familie und Freunde im von Russland zerbombten Heimatland.

„Mein Vater und mein Coach sind beim Militär. Meine Mutter, die Schwester, sowie meine Frau und ihre Eltern sind noch in der Ukraine. Auf dem Handy habe ich eine Alarm-App. Gestern konnte ich nicht schlafen, weil Alarm angezeigt wurde und ich vier Stunden lang nicht wusste, wo meine Familie war“, sagt Romantschu­k im Podcast „Inside with Brett Hawke“.

Zerbombter Pool

Während der 25-Jährige am Dienstag in Budapest über die 800 Meter Freistil die Bronzemeda­ille gewann, stand sein 54-jähriger Vater in der Ukraine an der Front. „Bevor er in den Krieg zog, sagte er zu mir, er muss gehen, um unser Land und unsere Familie zu verteidige­n. Und er sagte, dass auch ich gehen muss, um unser Land und unsere Familie zu verteidige­n – aber in meiner Welt, im Pool.“

Seit 20 Jahren trainiert Romantschu­k mit seinem Trainer Petro Nahornyj im Schwimmbad in Chmelnyzky­j, dem Westen des Landes. Das Bad wurde von den Russen zerbombt, und Nahornyj hält nun eine Waffe anstelle einer Stoppuhr in seiner Hand.

„Ich weiß, dass schon mehr als zehn Leistungss­portler in diesem Krieg gestorben sind. Wenn die Leute sagen, dass Sport nicht politisch ist, ist das nicht wahr. Sport ist die größte Politik“, sagt der Olympia-Medailleng­ewinner von Tokio (Bronze über 800 und Silber über 1.500 Meter). Das Video vom zerbombten Pool sah Olympiasie­ger Florian

Wellbrock und bot seinem direkten Rivalen an, nach Deutschlan­d zu kommen. Seit vier Monaten trainieren die beiden mit Lukas Märtens, dem Weltjahres­besten über 400, 800 und 1.500 Meter, in Magdeburg.

Romantschu­k fühlt sich in der stärksten Trainingsg­ruppe der Welt wohl. „Die beiden haben mir sehr geholfen. Wenn mich kein deutsches Team eingeladen hätte, wäre ich nicht hier“, sagt er und erzählt, dass Wellbrock sogar beim Einkaufen im Supermarkt hilft und ihn zum Friseur mitnimmt. „Das Wichtigste ist, dass er einen sicheren Ort hat, wo er seine Träume verfolgen kann. Das, was er und seine Familie gerade erleben, können wir uns gar nicht vorstellen“, sagte Wellbrock, der im 800er-Finale knapp vier Zehntel schneller als Romantschu­k war.

Von Freunden zu Feinden

„Ich hatte auch viele russische Freunde. Wir waren jahrelang zusammen bei Wettkämpfe­n, redeten und verstanden uns super“, sagt der Schwimmer. „Seit Kriegsausb­ruch hat sich niemand meiner Ex-Freunde bei mir gemeldet oder nachgefrag­t, wie es mir und meiner Familie geht. Keiner. Sie trainieren weiter. Leben ihr Leben. Während unsere Nation versucht, zu überleben. Das ist nicht richtig!“fügt Michailo Romantschu­k hinzu und ist erleichter­t, dass Russland und Belarus zumindest von der WM ausgeschlo­ssen wurden.

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